GREAT ABSENCE von Kei Chika-Ura

Filmstill Great Abscence

Takashi ist Schauspieler und lebt mit seiner Frau in Tokio. Zu seinem Vater hat er seit zwanzig Jahren keinen Kontakt mehr. Seit der Vater damals wegen einer anderen Frau Takashi Mutter verlassen hat, herrscht Funkstille zwischen Vater und Sohn. Dieser Zustand ändert sich abrupt, als Takashi während einer Theaterprobe einen Anruf von der Polizei erhält, die ihm mitteilt, dass sein Vater nach einem vorgetäuschten Notruf in ein Heim für Demenzkranke eingeliefert wurde und dringend Hilfe benötigt. Widerwillig macht sich Takashi auf die Reise in eine Vergangenheit, die er am liebsten vergessen würde.

Vor Ort erfährt er nicht nur weitere Details über die Erkrankung seines Vaters sondern auch, dass Naomi, die zweite Frau des Vaters, unter ungeklärten Umständen verschwunden ist. Takashi versucht, in vielen Gesprächen mit dem Vater das Rätsel um Naomis Verschwinden zu lösen. Doch der präsentiert ihm je nach Tagesform verschiedene Versionen dazu, was mit Naomi geschehen ist. Im Haus des Vaters findet Takashi neben unzähligen Notizen seinen Vaters auch ein Tagebuch von Naomi. In einer langsamen Annährerung an die eigene Vergangenheit kommt er nach und nach nicht nur dem Verschwinden Naomis sondern auch dem eigenen Vater wieder näher.

GREAT ABSENCE basiert zum Teil auf persönlichen Erfahrungen des Regisseurs Chika-Ura. Der Film nimmt sich viel Zeit für die Wiederannährung von Vater und Sohn und für das stückweise Zusammensetzen einer fragmentierten Vergangenheit. Die Handlung wird nicht linear erzählt sondern entwickelt sich in verschiedenen Zeitebenen, in denen sich die sich widersprechenden Erzählungen des Vaters, verblasste Erinnerungsfetzen des Sohns, Tagebucheintragungen und Traumsequenzen miteinander vermischen. Das in der japanischen Gesellschaft tief verankerte Unbehagen, negative Gefühle wie Zorn, Trauer und Enttäuschung nach außen zu zeigen, prägt alle Gespräche und Begegnungen und erschwert Takashis Spurensuche zusätzlich.

Der Film nutzt statt ausufernden Dialogen eine subtile Bildsprache, die das Ungesagte auf anderen Ebenen ausdrückt und Raum für Interpretationen bietet. Nichts ist, wie es zunächst scheint und die Wahrheit ist immer auch eine Frage der persönlichen Sichtweise. Getragen wird das Ganze neben den beeindruckenden Landschaftsaufnahmen vor allem vom Spiel der beiden männlichen Hauptdarsteller mit Tatsuya Fuji als Vater und Mirai Moriyama als Sohn. Wer sich auf diese Entdeckungsreise in eine verschüttete familiäre Vergangenheit einlässt wird belohnt mit einem filmischen Gesamtkunstwerk in dem jede Einstellung den Blick auf ein neues Detail freilegt. Mein zweiter Favorit des Festivals, dem ich auch die goldene Muschel für den besten Film gönnen würde.

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