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17.02.05

23:26

Gespenster von Christian Petzold

Regie: Christian Petzold * Darsteller: Julia Hummer, Sabine Timoteo

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Ein leichter, schwerer, schöner Film

Zwei Mädchen, eines aus dem Heim, das andere klauend und streunend, lernen sich in Berlin kennen. Vierundzwanzig Stunden eines Sommertag lang bewegen sie sich in Kreisen durch Seitenstraßen des Potsdamer Platzes und durch den Tiergarten. Gleichzeitig führt ein zweiter Erzählstrang ein Paar aus Frankreich ein, das für kurze Zeit in Berlin sind, wo sie vor vielen Jahren ihre Tochter als Dreijährige vor einem Supermarkt verloren haben.
Drei Personen lassen sich von der Möglichkeit von Nähe verführen. Sie öffnen sich je für ein paar Stunden, soweit sie können. Sie zeigen in dieser Zeit Loyalität, legen Zärtlichkeit und Schönheit offen, trotz aller Bedrohung und aller Rückschläge und ohne Garantien für die Zukunft.

Nach dem Film erzählte Christian Petzold, eine Inspiration für den Film sei «Der schöne Sommer» von Cesare Pavese gewesen: ein Roman, der von zwei Proletariermädchen erzählt, die in die Boheme Roms eintauchen, dort mit einem Leben in Leichtigkeit, Sexualität, Party infiziert werden, und im folgenden Winter, als die Boheme ohne sie weiterzieht, sterben. Obwohl ich dieses Thema nicht als Zentrum des Filmes gesehen habe, glaube ich, dass der Film viel seiner Frische aus dieser fein dargestellten Infizierung gewinnt.

Der neue Film von Christian Petzold ist ein schöner Film. Er schafft es von Anfang bis Ende die Spannung zu halten, mehr durch Intensität denn durch Geschwindigkeit oder Plot. Der Film nimmt sich Zeit für Bewegungen und Gesten, er bleibt da, ohne den Rhythmus der Handlung zu überspannen.
Trotz allem enthaltenen Elend und Scheitern ist es ein Film, der seine Zuschauer eher verführt als quält. Er wirkt entspannter und leichter als frühere Filme von Christian Petzold ohne dabei an Brisanz einzubüßen. Die Kamera folgt liebevoll den Protagonisten. Aus ihren Gesten entwickelt eine Spannung, die sich ohne Reibungswiderstand in Ereignisse umsetzt. Die Liebe des Filmes zu den Figuren und zu den Schauspielerinnen (Männer kommen in diesem Film nur am Rande vor), zeigt sich auch in der Weigerung zuviel preiszugeben. Diese unbedingte Liebe und dieser volle Respekt vor den Figuren unterscheidet den Film von fast allen Filmen, die ähnliche Jugendfiguren aus sozialen Randbereichen abbilden.

Die lange Aufmerksamkeit, die Einfachheit des Plots, der trotzdem mehrfach überrascht und das große Vertrauen in Figuren, Dialog und Schauspieler, machen diesen Film zu einem großen Schauspielerfilm. Der Film ist durchgehend hervorragend besetzt. Die beiden Hauptfiguren bilden ein gegnsätzliches und überzeugendes Paar. Julia Hummer als Nina haut einen genauso um wie Sabine Timoteo als Toni.

Als ich aus dem Kino komme, möchte ich Filmemacherin werden, damit ich auch solche Filme machen kann. Mehr kann ein Film nicht schaffen.

Autor: veronika 17.02.05 23:26 | Kommentare (0)

16:10

Wettbewerb: Kakushi Ken – Oni no tsume (Hidden Blade) von Yoji Yamada

Regie: Yoji Yamada * Darsteller: Masotoshi Nagase, Takako Matsu

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Ein kindlich-ernster Samurai

Dieser Film enthält jede Menge Standarts eines Samurai-Films: das Schwert-Duell, die Frage der Ehre, den Tyrannenmord, und eine große, unmögliche Liebe. Kombiniert wird diese Mischung mit einem Setting, in dem sich die Kunst der Samurai überlebt hat, aber noch nicht gestorben ist und den Protagonisten in einem Gefühl von Sinnlosigkeit lässt.

Das reicht leider nicht, um einen interessanten Film zu schaffen. Der Film spult seine Handlung in hübschen Bildern langsam und gleichmäßig ab, ohne Gewichte zu setzen. Dabei wird (zumindest in der deutschen Untertitelung) kein Satz gesagt, der nicht der Story dient. Die Menschen scheinen völlig unentfremdet und sind eins mit ihren Worten. Sie sind von derselben erstaunlichen Naivität und Gradlinigkeit, die den ganzen Film auszeichnen. Alles erscheint kindlich: der Humor, die Ehre, der Ernst, die Liebe und die Arbeit des Samurai, das Schießen mit Kanonen und Gewehren zu erlernen. Diese Kindlichkeit hat noch nicht einmal die Vorpubertät erreicht, und es ist nur folgerichtig, dass dieser Film keinen Kuss zeigt, denn die gezeigte Liebe ist so asexuell, wie das Abfeuern der Kanone ein lustiges Kinderspiel ist. Nirgends kann der Film die behauptete Umwälzung der Gesellschaft in Bilder und Ereignisse umsetzen.

So kann der Film trotz schöner Menschen und Bildern weder Märchen sein, noch eine wahrhaftige Geschichte erzählen. Stattdessen zeigt er einen kindlichen Blick, dessen Unschuld den Zuschauer je nach Naturell entweder anrührt oder auch langweilt.

Autor: veronika 17.02.05 16:10 | Kommentare (0)

15:43

Ghost Machine - Ein Video-Walk von Janet Cardiff und George Bures Miller

Große Theater bzw. besser: Physical Cinema

... und weil mich die Kino-Müdigkeit gepackt hatte, weil ich sehr gutes darüber gehört und weil ich es meinen Studenten aufgegeben habe, war ich gestern im HAU1 um mir den Video-Walk anzusehen. Die Arbeit gehört darüber hinaus zum Rahmenprogramm der Berlinale und liefert einen großartigen Kommentar zum Berlinale-induzierten Kino-Hype. Cardiff und Miller haben auf der Biennale in Venedig 03 mit einer ähnlichen Arbeit einen Preis abgeräumt und für die Berlinale nun eine ganz neue Arbeit konzipiert.

Das HAU 1 steht dazu fast den ganzen Tag offen. Wer die 6 Euro (also Kinopreis) ausgibt, bekommt eine kleine Digitalvideokamera in die Hand und einen Kopfhörer dazu aufgesetzt. Alleine wird man dieses Theater/Kino-Erlebnis durchwandern müssen. Dann geht der Film los, der mit der Videokamera als Guide und Kinoleinwand, durch die abgelegensten Räume des HAU1 führt.

Das Prinzip ist einfach, eine Stimme (entweder Cardiff selbst oder auf deutsch Sophie Rois) erzählen eine Geschichte, wie sie auf der Kamera gespeichert ist, und geben dazu Handlungsanweisungen ("steht jetzt auf und geh dir Treppe nach oben. Nicht so schnell. Stop"). Die Geschichte gerät dabei allerdings schnell in den Hintergrund, zu spannend ist das Spiel der Wahrnehmungsebenen: denn das, was auf dem Display zu sehen ist, stimmt oft nicht zu ganz mit dem überein, was man sieht, wodurch man läuft.
Den schon abgedrehten Film nachlaufend und nachdrehend, bewegt man sich dabei durchs HAU. Dazu gibt es eine faszinierende und überraschende eindrucksvolle Soundlandschaft über die Kopfhörer. Waren das meine Schritte oder die eines anderen? Man vertraut der führenden Stimme, wohin sie auch führt: ob Künstlergarderobe, Bühne oder Foyer. Immer gerät dabei die eigene Wahrnehmung aus ihrer Sicherheit: hab ich das jetzt selbst gesehen, oder war es in der Kamera? Hat da jemand geflüstert? Ist das mein Atem?

Zusätzlich kommt noch eine Erzählebene hinzu, da in den einzelnen Räume jeweils besondere Geschichten erzählt werden, so dass zu Wahrnehmungsraum, gefilmten Raum noch der Erzählungsraum hinzukommt. Alle drei durchdrigen sich gegenseitig auf eine spielerische, leichte Weise, schaffen immer wieder überraschende Momente von Intensität und hinterfragen dabei konstant die Wahrnehmung. Und ganz nebenbei kann man damit endlich mal etwas tun, was man im Kino eigentlich schon immer tun wollte: aufstehen und mitspielen. Sich körperlich in den Film, in das Geschehen integrieren, dabei sein, statt nur zuschauen.

Zum Hau kommt man vom Potsdamer Platz übrigens, wenn man einfach die Stresemannstr. runtergeht. Den Video-Walk gibt es noch bis Sonntag, Einlasszeiten sind 16-23 Uhr und man sollte vorher vielleicht eine Karte reservieren (telefonisch oder über die homepage) um Wartezeiten zu vermeiden.

Autor: dominik 17.02.05 15:43 | Kommentare (0)