Die Berlinale hat einfach Herz. Mit viel Applaus und aufrichtiger Bewunderung wird Ira Sachs vom Publikum im Zoo Palast empfangen. Auch seinen Film FORTY SHADES OF BLUE hat er 2005 hier vorgestellt.
In LOVE IS STRANGE (Internationale Premiere) begleitet er das in die Jahre gekommene schwule Paar Ben und George (großartig gespielt von Alfred Molina und John Lithgow) in dem Abschlussabschnitt ihrer langjährigen Liebesbeziehung.
Nach 39 Jahren haben sie geheiratet, doch gleich darauf müssen sie sich schon wieder trennen. Der katholische Arbeitgeber von George kann eine schwule Ehe nicht tolerieren. George wird gekündigt. Das Paar muss daraufhin seine Wohnung aufgeben und kommt bei Familie und Freunden unter, allerdings nicht gemeinsam. Die Wohnsituation in New York ist dazu einfach zu prekär. George schläft bei Freunden auf der Couch und Ben muss sich mit 71 Jahren ein Zimmer mit dem pubertierenden Sohn seines Neffen teilen. Als die Übergangslösung zu einem Dauerzustand wird, kommt es zu unterschwelligen Spannungen, die die Konturen von unterschiedlichen Liebeskonstellationen hervortreten lassen.
Die Stärke von Sachs Film liegt nicht in dem, was er erzählt. Das ist sehr überschaubar. Es ist die Art und Weise, wie erzählt wird. Wenn es eine "Slow Film" Bewegung gäbe, dann wäre Sachs ein Teil dieser Bewegung. Er lässt die Kamera verweilen und gibt einer Situation Raum. Im Gegensatz zum Mainstream-Kino weigert er sich, dramaturgisch zuzuspitzen, Höhepunkte auszuschlachten und den Zuschauer zu manipulieren. Er zeigt nicht den finalen Kuss nach dem Ja-Wort bei der Hochzeit oder den Applaus nach einer berührenden Musikvorstellung im Theater.
Wenn man sich die klassische Dramaturgie als Bergpanorama vorstellt (siehe unten)...
....dann sieht Sachs Dramaturgie so aus, als ob man dem Berg die Spitzen nimmt.
Sachs beschäftigt sich mit dem Fundament des Alltags, das die meiste Zeit unseres Lebens bestimmt.
LOVE IS STRANGE erinnert in seiner Erzählweise an die Berliner Werke von Angela Schanelec und Thomas Arslan. Vergleichbar ist auch der lokale Bezug. Vieles ist sehr stark auf die Lebenssituation in den USA gemünzt, insbesondere auf die in New York. Man bekommt daher nicht immer einen Draht zum Geschehen. LOVE IS STRANGE bleibt trotzdem ein grundsympathischer Film mit vielen treffenden Momentaufnahmen menschlicher Beziehungen.