Die Überraschungsparty in der neuen gemeinsamen Wohnung ist der erste Test für Robert. Nimmt man ihm den fürsorglichen Lover der Transfrau Leni ab? In Wirklichkeit ist Robert verdeckter Ermittler. Mit Hilfe von Leni, die bis vor kurzem wegen Dealerei im Gefängnis saß, soll er an einen Drogenboss herankommen. Was die Sache kompliziert macht: Robert war früher tatsächlich einmal Lenis Liebhaber, aber da hieß Leni noch Lenard und war ein Mann. Christoph Hochhäusler inszeniert BIS ANS ENDE DER NACHT stilsicher als Mischung aus Film noir und Liebesdrama. Allerdings wäre dieser Film vielleicht besser in einer Nebenreihe aufgehoben gewesen – fühlt er sich doch über weite Strecken wie ein Fernsehformat mit künstlerischen Ambitionen an.
Die großartigen Hauptdarsteller – Timocin Ziegler als Robert und Thea Ehre als Leni – entwickeln sehr überzeugend eine Spannung aus Anziehung und Aggression, Liebessehnsucht und Misstrauen. Durch den Auftrag sind sie in einer Konstellation der gegenseitigen Abhängigkeit gefangen. Lenis Mitarbeit basiert auf einem – eventuell falschen – Versprechen, sie bei Erfolg frühzeitig aus der Haft zu entlassen. Roberts Motive sind weniger eindeutig. Was jedoch klar ist: Es stehen jede Menge Aggressionen und unausgesprochene Vorwürfe im Raum. Robert scheint permanent auf der Suche zu sein – er wirkt tatsächlich wie ein Mann, der seine Seele verloren hat, was Regisseur Hochhäusler bei der Pressekonferenz als klassisches Merkmal des Film noir anführt. Robert hat Leni nie verziehen, dass sie als Frau leben will – damit kommt er nicht klar. Und er nutzt jede Gelegenheit, um sie zu quälen und seine Überlegenheit zu demonstrieren.
Die Dynamik zwischen den Hauptfiguren funktioniert so gut, weil die beiden als komplette Gegensätze aufgebaut sind. Robert ist der Typ abgefuckter Cop mit Lederjacke und strähnigen Haaren. Leni liebt Schlager und Plüschtiere und träumt von einer Karriere als Sängerin. Das ist die Oberfläche. Doch darunter ist Robert erstaunlich verletzlich und Leni überraschend zäh. Im Laufe des Geschehens entwickeln sich beide weiter und offenbaren neue Facetten ihrer Charaktere. Das hält das Liebesdrama in Schwung.
Schon bald nimmt der Job Fahrt auf und Leni beweist, dass sie sehr wohl klug und strategisch agieren kann. Beim Tanzkurs (Cha-Cha-Cha!) gewinnt sie mit ihrer offenherzigen Art das Vertrauen des Drogenbosses und seiner Freundin. Und es zeigt sich, dass auch diese beiden so ihre privaten Problemchen haben. Absolute Überforderung in der Beziehung, totales Versagen als Scheidungsvater: Diese Themen werden hier überraschend frisch, mitunter geradezu komisch umgesetzt. Weil auch die gespielte (?) Beziehung von Robert und Leni kriselt, und weil geteiltes Leid verbindet, kommt man sich bald näher – und das Ausspionieren kann beginnen.
Der Krimiplot im Film ist rau, temporeich und überzeugend umgesetzt. Man kann höchstens bemäkeln, dass er zum Schluss ein wenig zu viele Volten schlägt. Die Bilder von Frankfurt bei Nacht mit seinen nassen Straßen und den glänzenden Lichtern, der Soundtrack aus Schlagern von Zarah Leander und Hildegard Knef: All das gibt dem Film eine träumerische Stimmung, die sehr gut mit dem rasanten Krimiplot kontrastiert.
Freilich ist diese Art der Filmsprache heutzutage durchaus auch in Fernsehproduktionen üblich. Und auch der eine oder andere ungelenke Dialog-Satz aus dem Drehbuch gemahnt eher an „Polizeiruf“ denn an großes Kino. Obwohl BIS ANS ENDE DER NACHT insgesamt sehr spannend und gelungen ist: Vielleicht wäre der Film statt im Wettbewerb ganz gut in einer Nebenreihe des Festivals wie dem Panorama aufgehoben gewesen.
Fotos: © Heimatfilm