TOKYO KAZOKU (Tokyo Family) von Yoji Yamada

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Mein Abschlussfilm der 63. Berlinale begleitet von Tränen und Freude. Der sehr schöne TOKYO KAZOKU (Tokyo Family) von Yoji Yamada ist das Remake eines Klassikers des japanischen Kinos: Tokyo Story (1953) von Yasujirō Ozu. Das Remake ist mit zweieinhalb Stunden lang - aber keine Minute zu lang. Ganz behutsam wird hier das Portrait einer Familie und zugleich der japanischen Nation zu Beginn des 21. Jahrhunderts erzählt. Darin enthalten: Verlust, kulturübergreifende inner-familiäre Konflikte und das Ringen von Tradition und Moderne, das wohl in jeder Generation und zwischen Eltern und Kindern abläuft. Eine Familie in einem krisengebeutelten Land überprüft ihren Zusammenhalt.

Ein Endsechziger Ehepaar, er war Lehrer, sie Hausfrau und Mutter, besuchen für einige Zeit ihre erwachsenen Kinder in Tokio. Zunächst treffen sich alle im Haus des Ältesten, ein Arzt in irgendeiner der zahllosen Vorstädte um die Hauptstadt, mit netter Frau, zwei Kindern und maulfaul wie sein Vater. Die Familie des Arztes wie auch fast alle anderen Familienmitglieder leben in Häusern, in denen sich japanische Tradition mit Tatamimatten, Schiebetüren und niedrigen Tischen mit den westlichen Alltags- und Baukultur mischen. Und so geht es auch mit anderen Dingen im Leben dieser Menschen: Den Umgangsformen, die fein austarierten Höflichkeitsformeln und Rituale, Arbeitsalltag und Berufswünsche, Kindererziehung. Gegen Ende des Films wird die Familie aber von einer Belastung wieder zur Trost spendenden Gemeinschaft und Tradition zum Halt in Zeiten der Krise.

Schnell wird klar, es wurde vom Vater nie viel geredet in dieser Familie und er hatte früher ein Alkoholproblem. Die Mutter dagegen - wie so viele Mütter in so vielen Kulturen - hält die Familie zusammen, ist emotionales Zentrum dieser Familie, sie gleicht aus, was der Vater schweigt und bestimmt.
Die Tochter der beiden hat einen Friseursalon, klagt ständig über sehr viel Arbeit, weshalb sie nicht weiter helfen könne und die Eltern, die auch bei ihr wohnen, schnell wieder aus dem Haus haben möchte. Ihre nicht untypische, aber unangenehme materielle Haltung wird durch ein humorvolles, offenes Wesen ausgeglichen.
Sie und der ältere Bruder beschließen nach über einer Woche Besuch der Eltern ihnen zwei Tage in einem tollen Hotel zu spendieren, damit sie in Ruhe ihr Leben wieder aufnehmen können. Das ist eine schön groteske Szene, wenn die beiden älteren Herrschaften, er im Anzug, sie im Kimono, an einem Tisch dieses westlichen Nobel-Hotels sitzen und tapfer mit Messer und Gabel essen, was sie nicht kennen. Beim Blick aus dem 30. Stock auf das Riesenrad erinnert sich der Alte an ihr erstes Date im Kino, wo damals DER DRITTE MANN lief. Dies und das Geständnis der Mutter, ihn wenn ich aus Liebe, so doch aus Pflichtgefühl und weil er gut aussah geheiratet zu haben, sind Hinweise, in wie weit sich die Gesellschaft in Japan verändert hat in nur 40 Jahren und auch die einzigen Verweise auf ein "Privatleben" der Eltern außerhalb von Pflichterfüllung.

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Das dritte Kind, der Jüngste, das Sorgenkind, arbeitet als Bühnentechniker beim Theater und schlägt sich so durch. Er scheint ein wenig unzuverlässig und doch ein junger Mann mit großem Herz am rechten Fleck. Und er ist überkreuz mit seinem Vater. Die beiden - auch das nicht untypisch - haben einfach keine gemeinsame Sprache, weil sie keine gemeinsamen Vorstellungen vom Leben teilen: Auf der einen Seite der Patriarch mit den traditionellen Vorstellungen von Erziehung und Zukunftsplanung, der sogar an seinem Ältesten was auszusetzen hat, weil der lieber in Tokio seine Praxis eröffnete als auf der Insel, von der sie stammen. Auf der anderen Seite ein junger Mann, der sich sowohl den Aufstiegsträumen wie den materiellen Erfolgskriterien, denen seinen Geschwister genügen, zu widersetzen scheint - dabei aber nichts sehnlicher wünscht als die Anerkennung seines Vaters.

Es kommt im letzten Drittel zu einer wichtigen Nacht, in der die Eltern zwischen den Kindern hin und hergeschoben getrennte Wege gehen: die Mutter übernachtet beim Jüngsten und erfährt sie sehr glücklich machende Neuigkeiten und der Vater trinkt zum ersten mal seit Jahren mit einem alten Freund so lang bis beide zusammenklappen. Gegen Ende wird dann im Kino viel geweint und die Geschichte treibt zu einer zwar vorhersehbaren, aber doch wunderschönen Klimax hin, in der die Familie sich ein Stück weit neu erfindet und symbolisch und auch konkret die Versöhnung zwischen Tradition und Moderne angedeutet wird.

Eine einfache, klare Geschichte, die in ihrer Klugheit und feinen Erzählweise lange in Erinnerung bleiben wird. Familie als System funktioniert auf der ganzen Welt gleich, trägt Konflikte in sich und drängt immer auf Versöhnung. Damit wir unsere Herkunft nicht verleugnen müssen und uns die Basis zerstören, auf der ein Vorankommen und autonomes Selbst möglich ist.

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Titel

Orignaltitel

Tokyo Kazoku

Englischer Titel

Tokyo Family

Credits

Regisseur

Yoji Yamada

Schauspieler

Yu Aoi

Isao Hashizume

Shozo Hayashiya

Tomoko Nakajima

Yui Natsukawa

Masahiko Nishimura

Satoshi Tsumabuki

Kazuko Yoshiyuki

Land

Flagge JapanJapan

Jahr

2012

Dauer

146 min.

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