DIE AUSBILDUNG von Dirk Lütter

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(Un)Freiwillige Selbstkontrolle

Jan ist 20 und arbeitet in einem Call Center. Jan will alles richtig machen – immer. Denn Jan ist noch in der Ausbildung und will danach unbedingt übernommen werden. Er steht unter Druck und will mit eiserner Selbstdisziplin standhalten. Regisseur Dirk Lütter zeichnet in seinem Langfilm-Debüt ein Bild der modernen Arbeitswelt und erzählt gleichzeitig eine Geschichte vom Erwachsenwerden. Sein präzises, realistisches Drehbuch versetzt seine Hauptfigur in eine Situation, in der ihr immer mehr Verantwortung aufgebürdet wird: Die schlechte Performance der Abteilung, in der Jan arbeitet, die Veränderungen im Betrieb, in der Jans Mutter auch Betriebsrätin ist, und schließlich seine Liebe zur neuen Zeitarbeiterin Jenny – alles das sind Konflikte, die von Jan Entscheidungen verlangen.

Darsteller Joseph K. Bundschuh verleiht der Hauptfigur eine fast unheimliche Intensität. Jan ist immer angespannt, immer aufmerksam. So, das hat er schon gelernt, muss man sich in der Unternehmenswelt verhalten. Und natürlich muss die Leistung besser werden, wie ihm der Personalchef Tobias immer wieder predigt. Auch Jenny (Anke Retzlaff) hat diese Regeln bereits verinnerlicht: „Ich bin hier nur Zeitarbeiterin“, sagt sie und lehnt das Glas Sekt bei einer Geburtstagsfeier im Büro ab. Der Kuss mit Jan auf dem Bürogang ist da fast schon eine Revolution. Dirk Lütter zeigt zwei Jugendliche, die kaum noch Jugendliche sein können, selbst in der Freizeit nicht. Lütter hat für seinen Film lange recherchiert – in Unternehmen, in Gesprächen mit Jugendlichen. Und er hat das, was er erfahren hat, auch in die Arbeit mit seinen Schauspielern eingebracht. Diese Vorbereitung ist das große Kapital des Films, dessen Geschichte genauso auf das Wesentliche konzentriert ist, wie das Spiel seiner Darsteller und die genaue, stimmige Bildsprache von Henner Besuchs Kamera.

Die Druck unter dem Jan steht, wird im Verlauf des Films immer größer. Im schnöden Berufsalltag stellen sich auf einmal große Fragen nach Loyalität oder dem richtigen Handeln und dem Zustand der Arbeitswelt als solche. DIE AUSBILDUNG ist das perfekte Beispiel dafür, dass ein Film ungeheuer spannend sein kann und dabei trotzdem auf alles Spektakuläre und vordergründige Effekte verzichtet. Was passiert, wird hier nicht verraten, weil das ein Film ist, den man sehen muss. Es ist der herausragende Film der Perspektive Deutsches Kino 2011 und einer der besten Perspektive-Beiträge der vergangenen Jahre.

Zum Interview mit Dirk Lütter über seinen Film

Kommentare ( 1 )

Ja, der Film ist schon sehr gut. "Beste der vergangenen Jahre" weiß ich nicht. Die Bilder jedenfalls sind gestochen scharf, erinnern in den Totalen auf die meist ins Ferne blickenden, nicht viel sprechenden Gesichter, an Kunst Fotografien, Jeff Wall etc..
Dazu die Stille und kargen Dialoge und die subtile Art, wie das "Schweinesystem" (warum eigentlich Anführungsstriche?) Beziehungen, das Leben, die Gefühle bestimmt, ja ruiniert, Leute fertig macht und gegeneinander ausspielt. Fürs liebe Geld und Weiterkommen.

Die Hauptfigur ist nicht ohne, betrügt im Kleinen, ist Voll-Konsumkind, ganzkörperrasierter Raser und emotional sehr gehemmt. Und auch seine Freundin findet nur im Wald mal zu sich, die beiden irgendwie ungelenk zueinander. Man wünscht den beiden eine Art Urschrei-Therapie, statt immer so gebremst, still vorsichtig.

Am Ende fragt man sich bei der Hauptfigur, wo wohl seine Grenze ist. Hat er eine? Muss man das machen, was er macht oder kann man auch anders? Wie kommt man weiter im Beruf und was muss man dafür tun, wen anschwärzen oder wie sich hoch-rangeln? Es ist ein trauriger Film eigentlich, ein kalter Film aus der schönen Service- und Arbeitswelt Deutschland.

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Titel

Orignaltitel

Die Ausbildung

Englischer Titel

The Education

Credits

Regisseur

Dirk Lütter

Schauspieler

Joseph K. Bundschuh

Anke Retzlaff

Stefan Rudolf

Dagmar Sachse

Drehbuch

Produzent

Titus Kreyenberg

Kamera

Henner Besuch

Schnitt

Antonia Fenn

Musik

Falko Broksieper

Land

Flagge DeutschlandDeutschland

Jahr

2010

Dauer

85 min.

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