Interview: Dirk Lütter über DIE AUSBILDUNG (Gewinner "Dialogue en perspective")

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Dirk Lütters Langfilmdebüt DIE AUSBILDUNG betrachtet die moderne Arbeitswelt aus der Perspektive des 20-jährigen Jan, einem Auszubildenden in einem Call Center. Festivalblog hat mit dem Regisseur über seinen Film und über das, was Unternehmen von heute ihren Angestellten im Arbeitsalltag abverlangen.

Wie bist Du darauf gekommen, das Drehbuch so auf die Person des Auszubildenden zuzuspitzen?
Das es ein Auszubildender ist, war wirklich die erste Idee. Ich habe Ende der 90er Jahre einen Dokumentarfilm über drei Freunde gemacht, der 2001 rausgekommen ist. Er heißt „50374 Erftstadt“, so wie der Ort aus dem ich komme. In dem Film habe ich versucht, so etwas wie den Prototypen eines jungen Lebens in Westdeutschland zu zeichnen. Es geht um drei Freunde, die nach dem Abitur eine Ausbildung gemacht haben, angefangen haben zu arbeiten und damit auf unterschiedliche Art und Weise ihre Probleme hatten. Das war eben das ganz normale Leben dort in der Kleinstadt – auch in meiner Familie. Und mich hat immer interessiert, was da mit den Menschen macht und wie das prägt, wenn man mehr als die Hälfte des wachen Tages eine andere Person ist, als die, die man eigentlich ist.

Du meinst, dass man quasi eine Rolle spielt.
Genau. Wenn man etwas repräsentieren muss, etwas leisten soll und sich in gewisser Weise auch verstellen muss. Als zweites Phänomen ist mir der Konsum aufgefallen, den ich ja auch betrieben habe. Deswegen habe ich darüber nachgedacht, ob und wie das zusammenhängt – Arbeit und Konsum. Die Ausbildung ist ja eine Art Übergangszeit zwischen Schule und Arbeit, in der man noch nicht ganz in den Betrieb eingebunden ist, da hat man noch Welpenschutz. Erst danach beginnt dann der totale Ernst des Lebens.

Dein Interesse galt also dieser Sondersituation?
Die meisten Coming-of-Age-Filme handeln von jungen Menschen, die auf Widerstände stoßen, Hindernisse überwinden und so zu einem eigenständigen Menschen werden, der seine eigenen Entscheidungen trifft. Das halte ich für eine ziemliche Romantisierung. Ich sehe das nicht so. Die Schulzeit ist zu einem guten Teil Vorbereitung auf das Arbeitsleben, pünktlich kommen, still sitzen, von anderen gestellte Aufgaben bewältigen. Nach der Schule kommt man ja eigentlich nur in die nächste Stufe, also die Ausbildung, und das hat für mich wenig mit Selbstbestimmung und Selbständigkeit zu tun. Im Beruf sind dann viele komplett fremdbestimmt und fern von Sinnerfüllung, stehen obendrein noch unter enormem Leistungsdruck. Deswegen war für mich dieser Angelpunkt zwischen Schule und Beruf gut geeignet. Zusätzlich gibt es in diesem Alter dann noch diese Dinge, die einen Ausgleich darstellen sollen: Das Einkaufen, das Autofahren, die Discobesuche – wie wir eben früher so durch die Provinz gerast sind. Das war ja eigentlich totaler Quatsch (lacht). Dann passt man sich Stück für Stück so ein.

Das ist mir auch an der Hauptfigur Jan aufgefallen. War das von Anfang an so angelegt oder hat sich das erst in der Arbeit mit dem Schauspieler Joseph Bundschuh ergeben? Denn Jan ist ja ein unglaublich kontrollierter junger Mann, der ja fast gar nichts von einem Jugendlichen hat.
Er hat nichts vom Klischee eines Jugendlichen. Selbstkontrolle ist ja heute das Wichtigste im Berufsleben und das ist sehr allumfassend geworden. Wenn man heute in diesen ganzen Dienstleistungsberufen nicht selbstkontrolliert ist, fliegt man halt raus. Man muss immer die Form wahren und die Fassade aufrecht erhalten. Diese Leute habe ich auch schon in meiner Jugend gesehen. Das Klischee, dass Jugendliche über die Stränge schlagen und ausbrechen, stimmt ja nicht. Das ist nur ein kleiner Prozentsatz. Mein Eindruck von den jungen Leuten die ich getroffen habe, zum Beispiel auch während des Castings, war, dass – wenn überhaupt – ein ganz kontrollierter Ausbruch stattgefunden hat. Die unkontrollierte Jugend ist ein Filmklischee. Der Berufsterror geht ja heute schon mit 14 in der Schule los. Was will ich werden? Wie schreibe ich eine Bewerbung, Auslandsaufenthalt, Praktika für den Lebenslauf, usw.? Jugend hat für mich nichts mit Undiszipliniertheit zu tun. Ich wollte einen Jugendlichen zeigen, der schon sehr erwachsen ist.

Und da passte Joseph Bundschuh genau.
Er kann das sehr gut. Joseph ist ein ganz erstaunlicher Schauspieler, weil er ungeheuer präzise ist. Das hat, glaube ich, auch damit zu tun, dass er Trommler in einer Band ist. Er hat viel Gefühl für Rhythmus und Bewegungsabläufe. Gleichzeitig ist er auch als Mensch sehr konzentriert. Von seiner Lebenseinstellung hat er mit der Figur Jan gar nicht soviel gemeinsam, aber wie haben mit der Coachin Daniela Holtz daran gearbeitet, Gemeinsamkeiten zwischen der Rolle und der eigenen Persönlichkeit zu finden. Das hat uns bei der Arbeit sehr geholfen die jugendlichen Figuren Jan und Jenny emotional zu unterfüttern. Wir haben drei Tage in verschiedenen Schauspielerkonstellationen mit ihr gearbeitet.

Das Drehbuch ist sehr spartanisch, weil Du Sprache sehr sparsam und genau einsetzt, deswegen haben die Schauspieler Raum zu spielen. Wieviel Zeit und Mühe hat Dich das gekostet?
An dem Drehbuch habe ich vier Jahre gearbeitet. Im Schnitt ist noch einiges rausgeflogen. Ich habe im Schnitt wieder viel gelernt. Die wenigen Worte waren so angelegt. Dialoglastige Filme finde ich nicht so interessant, weil sie dem Zuschauer meistens keinen Raum zum Nachdenken lassen. Da wird der Zuschauer häufig mit Gefühlsbehauptungen oder Gefühlssimulationen bombardiert. Mir sind die Pausen zwischen den Sätzen wichtig. Damit wollte ich einerseits die Hemmungen und den fehlenden Zugang zu den eigenen Gefühlen und den Gefühlen des Gegenübers darstellen und bestimmte Sätze betonen; andererseits geben der sparsame Einsatz von Dialog und Pausen zwischen den Dialogen dem Zuschauer Raum, um selbst zu denken. Filme, die ich mache, Filme überhaupt, sind schon manipulativ genug. In 99 Prozent der Filme haben die Zuschauer inmitten von Text, Musik, Bildern und Schnitt gar keine Zeit für eigene Gedanken. Das finde ich furchtbar. Es ist auch mal gut, wenn sich der Zuschauer zwischendurch langweilt. Dann geht das denken los, bei mir zumindest ist das so. (lacht)

Der Film ist auch in seinen Bildern sehr wirkungsvoll. Was war der Leitfaden für die Kameraarbeit von Henner Besuch?
Für die Bildgestaltung war es wichtig, das Strukturelle der Welt, in der Jan lebt, sichtbar zu machen. Die Bildausschnitte sollten wie Teile einer Struktur wirken. Die Umgebung ist dafür wichtig und muss sichtbar sein, denn sie steht für die Struktur. Vertikalen bestimmen zum Beispiel die Arbeitsräume und grenzen die Menschen bildlich ein. Durch die Wiederholung von Orten und Einstellungsgrößen stellt sich dieser Effekt zusätzlich ein, ebenso durch wenig Kamerabewegung. Das lässt auch dem Zuschauer auch Zeit zum Wahrnehmen, Entdecken und Denken. Außerdem sollte wenig Horizont im Bild sein, wenig freier Blick - und wenn, dann begrenzt, zum Beispiel. durch Fensterrahmen, etc.
Das Licht haben wir in der Regel und wenn möglich relativ flächig gemacht, damit der Mensch im Bild keine schützenden Schatten hat – ein Symbol dafür, dass es kein Entkommen innerhalb des Systems gibt. Darüber hinaus sind die Dinge, besonders in der Firma und im Einkaufszentrum genauso hell wie die Menschen. Die Dinge als Vertreter der Struktur stehen also mit den Menschen auf einer Hierarchieebene.

Das Bild der Arbeitswelt, das der Film zeigt, ist ja fast hoffnungslos. Ist das Dein Bild der gesamten Arbeitswelt. Du kritisierst vor allem die Disziplinierung. Wie gehst Du eigentlich damit um, dass gerade das Filmemachen soviel Disziplin verlangt?
Erstmal zu dem Widerspruch: Natürlich ist Filmemachen – vor allem der Dreh und das Drehbuchschreiben – ungeheuer diszipliniert. Das ist vor allem für die schwierig, die am Set nicht Heads of Department sind. Ich habe ja auch als Kamera-Assistent gearbeitet. Da wechseln Zeiten totaler Ödnis mit Zeiten totaler Konzentriertheit und Überlastung – ziemlich schrecklich. Man kann bestimmt entspannt Filme machen. Ich kann das noch nicht. (lacht) Ich bin ja auch Teil des Systems und davon geprägt. Damit muss ich leben, aber ich arbeite daran. Was die Arbeitswelt betrifft, glaube ich, dass ein Großteil so funktioniert wie im Film. Es gibt Ausnahmen, aber je Profitgetriebener ein Arbeitsplatz ist, je größer ein Unternehmen, umso mehr ist man Rädchen, muss man funktionieren. Arbeitsteilung ist zwar ökonomisch effektiv, aber immer das Gleiche zu machen, ist doch sehr langweilig. Arbeit kann in diesem System nur so funktionieren, es geht ja um Profit, nicht um Menschen. Häufig fehlt auch noch der Sinn, weil man ja nichts herstellt, was wirklich essentiell wäre, was man selber oder andere dringend brauchen, sondern irgendwas, was irgendwem Geld einbringen soll.

Das Interview führte Steffen Wagner.

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