"La teta asustada / The Milk Of Sorrow" von Claudia Llosa

Vier Hochtzeiten und ein Todefall

Was in Erinnerung bleibt sind drei Dinge: die Langsamkeit der Figuren und ihre Stille, die Treppe und der beschwerliche Weg über den kahlen Bergrücken, und wie die Hauptfigur die pinkfarbenen Kartoffeltriebe der Kartoffel in ihrer Vagina mit einer Nagelschere abknipst. Warum sie am Ende diese Kartoffel entfernt, warum sie die Mutter am Meer beerdigt, nachdem sie wochenlang unterm Bett gammelte, warum diese Figur die irrationale Angst überhaupt hat, das ist mir irgendwie nicht klar geworden. Muss es ja auch nicht, klar werden im Sinne von begreifen, aber mitfühlen will ich doch - auch das wurde einem schwer gemacht.

Lima. Die Mutter der Hauptfigur stirbt, nachdem sie mit einer Schlaflied Melodie ein schreckliches Lied über Vergewaltigungen und Entführungen und Morde gesungen hat. Vermutlich während der Zeit der Terrororganisation Leuchtender Pfad und der Militärdiktatur. So ganz wird das nicht klar.
Ein Wellblechhütten Slum, eine eher arme Familie, die von der Ausrichtung von Hochzeitsfeiern lebt. Der Mann im Haus ist der Onkel der Toten, er weiß als Einziger von Faustas (Magaly Solier) Geheimnis. Seine Tochter plant ihre eigene Hochzeit, die Vorbereitungen laufen. Die Verstorbene wird so lange im Schlafzimmer unterm Bett gelagert, weil Fausta ihre Mutter gerne in ihrem Dorf beerdigen will und dafür zunächst Geld verdienen muss. Am Tag der Hochzeit soll sie dann aber weg sein. Zeitdruck. Obwohl die Familie für die Arbeit einen Truck hat, auf den Mann sie aber offenbar nicht packen soll. Fausta verdient also Geld bei einer reichen Komponistin mit Schreibblockade.

Fausta bricht immer wieder zusammen, weil die Kartoffel ihren Uterus entzündet hat, sie hat seit Jahren Angst irgendwo allein hinzugehen. Aber die Kartoffel bleibt drin. Im Haus hilft sie mit Liedern der Komponistin über die Schreibblockade hinweg. Und es entsteht so etwas wie Vertrauen, nicht aber Verliebtheit zwischen Fausta und dem Gärtner, einem workargen älteren Mann.
Es kommt, wie es kommen muss: die reiche Musikerin zieht Fausta über den Tisch, die Kartoffel macht sie kränker, Zusammenbruch, der Gärtner rettet sie, die Kartoffel kommt raus, Mutti wird auf den Truck gepackt und am Meer (nicht im Dorf warum? Keine Ahnung!) beerdigt. Am Ende bekommt Fausta vom Gärtner ein Blümchen.

Ein eigenartiger Film, der sehr stark fotografierte Momente hat, aber die Hemmung und schließlich auch der Wendepunkt von Fausta ist mir nie klar geworden. Bis auf den Onkel und ein bisschen den Gärtner sind alle Nebenfiguren eher flach, aber man gewinnt trotzdem ein paar erstaunliche Einsichten über peruanische Hochzeitsgepflogenheiten und warum man Kartoffeln besser nicht anpflanzt. Auch nicht im Blumentopf.

Kommentare ( 6 )

Habe gerade eine Journalistin getroffe, die diesen Film als Favoriten für den goldenen Bären handelt. Sie konnte nicht verstehen, dass jemand diesen Film nicht gut findet ; )

Tschuldigung, hast du den Film im Original (viele Szenen in Quechua) ohne Untertitel gesehen ohne Quechua zu verstehen? Bei diesem Beitrag mit oftmaligem "So ganz wird das nicht klar." wird ja die frischste Milch schlagartig sauer.

u.a. "warum diese Figur die irrationale Angst überhaupt hat". Ihre Mutter wurde während der Zeit des internen Krieges in Peru vergewaltigt (davon handelte das Lied, von IHRER Vergewaltigung - ok, der Einstieg war sicher eine Herausforderung!), als sie bereits mit Fausta schwanger war. Das Trauma, die Angst der Mutter gingen auf Fausta über via die 'Milk of Sorrow'. Fausta besteht nur aus Angst. Das um so mehr, da sie ihre wichtigste Bezugsperson, ihre Mutter, verloren hat.

Interessant werden möglicherweise Diskussionen in Peru werden. Claudia Llosa wird (von einigen wenigen Stimmen der Blogosphäre) [mal wieder] film-medialer Rassimus über den Charakteren zugeschriebene(s) Eigenschaften/Verhalten vorgeworfen. Hm.

ja auf die Diskussionen in Peru darf man gespannt sein. aber das spielt in Berlin keine Rolle. die Diskussionen hier, beziehen sich ja allein auf ästethische/dramaturgische Aspekte.

"So ganz wird das nicht klar" sollte heißen, ich kauf dem Film den "sauren Milch" Mythos nicht ab. Oder es sind an der kulturellen Grenze bis zu mir einfach ein paar Sachen nicht rübergekommen? Als die Mutter stirbt, ist Faustas Bezugsperson weg, ok. Aber warum bei all der Angst dann der ganze Fuzz um die Beerdigung im Dorf, die dann nie stattfindet? Ich fand den Einstieg übrigens grandios, nur dass er aus meiner Sicht trotzdem nicht erklärt, warum diese Frau tut, was sie tut.

quote "ich kauf dem Film den "sauren Milch" Mythos nicht ab."

Ein paar PeruanerInnen auch nicht, zumindest nicht im Zusammenhang mit Verbrechen während des internen Krieges, eher mehr als alltägliches Phänomen der 'trauigen Mutter'; siehe den wilden Kommentar #3 (würde ihn aber trotz Stil und Phrasen nicht komplett ignorieren) zu diesem Blog
http://www.derwesten.de/nachrichten/kultur/film/2009/2/13/news-110901412/detail.html
(Luna postet auch in peruanischen Blogs)

Im Zusammenhang mit Publikationen über die Arbeit der peruanischen Wahrheits- und Versöhnungskommission ist mir dieser 'Mythos', diese 'Krankheit' auch nicht über den Weg gelaufen. Allerdings habe ich mich nie mit dem Thema Traumaarbeit im speziellen befaßt. Claudia Llosa beharrte aber sogar in der Pressekonferenz (im Archiv der Berlinale abzurufen) darauf, dass sie dahingehend recherchiert hatte und den Film darauf aufbaute.

Zentrale Bedeutung der Beerdigung im Dorf (und daher der Fuzz) = Tradition, Erdverbundenheit (Kartoffel), Verwurzelung der Mutter. (So zumindest meine Interpretation.) Dies (Tradition) wird am Ende durch die Befreiung Faustas gebrochen (hieran entzündet sich auch viel Kritik an Llosa, Bruch der Tradition zugunsten einer erwiesenermassen fraglichen Moderne...da ist Llosa in ihren pro-Moderne Reden/Diskursen auch angreifbar...klar, Fausta befreit sich...aber sie landet - zumal in Lima - sicherlich nicht in einer sie 'einschliessenden' Gesellschaft.

Ich hatte mich über das "doppelte Ende" gewundert. (Kitano hätte den Film am Meer enden lassen), sehe die Kartoffelpflanze am Ende, zu der sie sich herunter beugt, aber als den Hinweis vom Gärtner an Fausta ihre Wurzeln/Tradition nicht zu vergessen. Die Schlussszene ist zudem von der Kopfbewegung Faustas her auch identisch mit der Eingangsszene, wo sie sich zu ihrer noch singenden Mutter herunterbeugt.

Mir sind vor allem viele der visuell durchkomponierten Bilder im Kopf hängen geblieben.

Ganz generell fehlt dem Zuschauer im Film eine Referenz: wir sehen nicht wirklich, wie Fausta im Alltag in Gegenwart ihrer Mutter lebte und agierte.

...dann lag ich ja gang richtig, ich kapier den film nicht und die jury gibt ihm den goldenen Bären. aber ok - kann man machen.

Muss mich der Missstimmung anschließen.

Aber die Jurys... Naja, Jurys sind halt Menschen wie du und ich mit ihren Irrtümern und persönlichen Geschmäckern und kleinen Eitelkeiten innerhalb der Gruppe. Der Preis "Der Goldene Bär" bedeutet mir schon lange nichts mehr.

Im ganzen erscheint mir dieser Film zu speziell und zu konstruiert.

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Titel

Orignaltitel

La Teta Asustada

Englischer Titel

The Milk Of Sorrow

Credits

Regisseur

Claudia Llosa

Schauspieler

Marino Ballón

Delci Heredia

Susi Sánchez

Magaly Solier

Efraín Solís

Land

Flagge PeruPeru

Flagge SpanienSpanien

Jahr

2008

Dauer

94 min.

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