ZEIT DER KANNIBALEN von Johannes Naber

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Die Kannibalen sind wir. Aber wir sind auch Romantiker, wie Öllers, cholerischer Unternehmensberater, der die Welt durch den Kapitalismus zerstören will, damit sie besser wird. Kollege Niederländer ist eher Typ kontrollsüchtig. Er will, dass es überall so aussieht wie er es von zu Hause kennt, er glaubt, wenn erstmal alles im Leben und auf der ganzen Welt Routine ist, Zeit bleibt, über echte Verbesserungen nachzudenken.
Seit Jahren ziehen sie beratend (Synonym für „Plündern, Brandschatzen, Vergewaltigen“ im 21. Jahrhundert scheint es) durch die Welt, um den Profithunger ihrer Kunden zu stillen. Die Realität, die Welt, das Leben sind im Film staubige Silhouette vor den Fenstern klimatisierter Luxushotels, das sie nie verlassen. Bis am Ende das Leben zu ihnen ins Hotel kommt...

Ein Kammerspiel und komplett im Studio entstanden wirkt der beeindruckende Film zugleich dicht, beklemmend wie denkbar wahr. Der dritte im Bunde, Erzrivale&Kollege Hellinger ist abwesend anwesend im Film, über ihn wird geredet. Und dann wird Hellinger plötzlich Partner in der Beratung (= noch viel mehr Geld, weniger Arbeit, Höhepunkt der Karriere) - und springt aus dem Fenster. Da gucken dann aber zwei doof „Aber der hätte jetzt doch so viel verdient“, meint Niederländer konsterniert.

Ersetzt wird er jedenfalls sofort von der nassforschen, randlose Brille tragenden Ex-Ärztin Bianca, die zunächst einen anderen Stil in die sprücheklopfende, gut geölte, dicke-Eier-Männermethoden international agierender Beratungsunternehmen reinzubringen scheint.
Die Arbeit bleibt die gleiche: In 5000 Euro Anzügen im Hotel dunkelhäutige Firmenchefs antanzen lassen, Preise drücken, Pistole auf die Brust und Firmen in Indien, Afrika, Pakistan und sonst wo ruinieren, nachdem man sie ausgepresst hat wie eine Zitrone. Zwischendurch das Hotelpersonal schikanieren oder die Zimmermädchen für ein paar Dollar im Bad vögeln oder auf dem Rennrad im Hotelzimmer den Alpe d‘Huez nachfahren, die Frau am Handy anblöken und den nächsten Flug buchen.

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Drehbuchautor Stefan Weigl hat einige Jahre mit dem Marxismus geflirtet, dann als Werbetexter gearbeitet, war einige Jahre arbeitslos bevor er zum Drehbuch kam. Mit dem prämierten Hörspiel STRIPPED (das auf Kontoauszügen während seiner Arbeitslosigkeit beruht) wurde er bekannt. Seine genialen Dialoge machen den Film so prägnant, witzig, garstig genau. Und dazu die Ausstattung der authentisch-künstlich wirkenden Räume, die Theaterkulissenhaftigkeit durch die blutleere Eleganz der Möbel - toll.

Und ganz groß sind die Schauspieler: Devid Striesow, der das Arschloch, den lustvollen Vernichter Öllers spielt, mit dem man aber trotzdem gern mal ein Bier tränke, weil seine Sprüche und seine Weltsicht so krank wie erfrischend sind. Er hat das Dionysische im Duo. Niederländer dagegen das Apollonische, großartig gespielt von Sebastian Blomberg. Er macht einem in seiner Glätte und Fitnessmanie, mit diesen jung-waigelschen Augenbrauen und der psychopathischen Kontrollsucht viel mehr Angst. Auch ihm gelingt es der Figur Leben einzuhauchen, sie nicht im dumpfen Berater-Klischee stehen zu lassen, sondern weiterzuführen und etwas bitter-wahres über den Mensch im Kapitalismus zu erzählen.
Und dann ist da noch Katharina Schüttler als Bianca, perfekt besetzt als streberhaft, moralinbittere, am Ende aber die ganze Dynamik entfaltende, intrigante Kollegin.

Ein kluger Film, der uns Typen zeigt, die die Welt verändern wollen, ja, die unsere Welt längst verändert haben. Die die Welt für maximale Ertragsmöglichkeiten urbar machen, sonst von der Welt und vom Leben aber nichts zu wissen scheinen. Weil sie nur arbeiten, nie hinausgehen und nichtmal Familie haben oder diese nie sehen.

Als die Firma der drei gekauft wird und sie zunächst ans Ende ihrer Karrieren, dann nach einer erneuten Wendung an den kometenhaften Aufstieg glauben und sich anstandsgemäß volllaufen lassen, kommt raus: Öllers und Niederländer sind beide bei den Grünen. Das ist natürlich ein fieser Seitenhieb auf bestimmte westdeutsche Karrierewege.

Was die drei Figuren in ZEIT DER KANNIBALEN in der letzten halben Stunde für eine selbstzerstörerische Kraft entwickeln, wenn die Masken fallen und die Angst, die Gier sie packt, bevor das System, das sie groß machte, sie fressen wird, das ist kurz vor genial. Ein Film zum Dialoge mitschreiben und einfach begeistert sein....The World is a Vampire.

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Titel

Orignaltitel

Zeit der Kannibalen

Englischer Titel

Age of Cannibals

Credits

Regisseur

Johannes Naber

Schauspieler

Sebastian Blomberg

Katharina Schüttler

Devid Striesow

Land

Flagge DeutschlandDeutschland

Jahr

2013

Dauer

93 min.

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