"Rage" von Sally Potter

Einer nach dem anderen stehen sie auf: die Presseleute bei der Filmvorführung von "Rage". Wohl keine Kunst mehr gewöhnt, möchte man ihnen hinterherrufen. Im Schreibzimmer des Pressezentrums fragt mich später eine der „Frühaufsteher“: "Hat sich irgend etwas geändert? Wurden weiter Menschen vor einem farbigen Hintergrund abgefilmt?". Nein, es hat sich nichts gerändert. Und genau das ist das Tolle an Sally Poters „Rage“.

Im Rahmen eines Schulprojekts filmt der sechsjährige Leonardo mit seiner Handykamera Leute aus der Modeszene. Jeder von ihnen, sei es die Modekritikerin (Judi Dench), der Geldgeber (Eddie Izzard), das Transvestiten Model (wunderbar Jude Law), der Fotograf (Steve Buscemi) oder der indische Pizzalieferant (Riz Ahmed), nutzt die Gelegenheit und trägt seine Persönlichkeit selbstverliebt nach außen. Wie auf der Couch eines Psychaters sind sie froh sich vor der Kamera des Jungen ausprechen zu können, besonders nachdem ein Mord geschieht. Das ändert sich, als sie bemerken, dass Leonardo die Videos auf YouTube stellt.

"Rage" scheint für einige der Journalisten auf der Berlinale eine Zumutung gewesen zu sein. Es gibt zwar eine Handlung, doch wir sehen nichts davon. Wir sehen immer nur einen der Protagonisten vor einem bluescreen, der passend zur Persönlichkeit und Kleidung des Interviewpartners die Farben wechselt. Auch Leonardo bekommen wir nie zu Gesicht. Sogar seine Fragen sind nur für die Leute vor der Kamera, aber nicht für uns hörbar.

Die imposante Schauspielerriege, die Sally Potter für Rage gewinnen konnte, ist in der gleichen Situation wie die Charaktere vor Leondardos Kamera. Sie haben die ganze Bühne nur für sich. Niemand stiehlt ihnen die Show. Gleichzeitig stehen sie aber auch in der Pflicht. Wie bei einem Casting müssen sie ihr ganzes schauspielerisches Repertoire ausreizen, um das Publikum alleine zu unterhalten. Ihnen dabei zuzusehen ist ein Genuß für Filmgourmets.

Wie sich später auf der Pressekonferenz herausstellt, haben sich die Schauspieler auch während der Dreharbeiten nicht gesehen. Potter hat immer nur mit einen von ihnen zwei Tage lang Aufnahmen gemacht. Das Ergebnis ist ein intensiver, komprimierter Film, der durch die Montage der Einzelinterviews gekonnt und mit ironischen Seitenhieben erzählt, wie eine schillernde Modewelt durch einen Sechsjährigen in das Web 2.0 Zeitalter gestoßen wird.

Rage ist bisher der Film im Wettbewerb, der am stärksten das Label „arty“ für sich beanspruchen kann. Bei der aktuellen Jury mit Tilda Swinton und Christoph Schlingensief scheint Sally Potters neuer Film daher ein Bär daher fast sicher.

Kommentare ( 1 )

Hey, hey!
So isses richtig. Endlich mal ein beherzter Tip.
Ich bin gespannt.

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Titel

Orignaltitel

Rage

Credits

Regisseur

Sally Potter

Schauspieler

Steve Buscemi

Judi Dench

Jude Law

Drehbuch

Kamera

Steven Fierberg

Schnitt

Daniel Goddard

Land

Flagge Vereinigte StaatenVereinigte Staaten

Flagge Vereinigtes KönigreichVereinigtes Königreich

Jahr

2008

Dauer

99 min.

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