Berlinale 2016: GENIUS von Michael Grandage

„Zu laut, zu großspurig und nicht ganz echt“

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Max Perkins ist der berühmteste literarische Lektor des 20. Jahrhunderts. Er holte F. Scott Fitzgerald zum New Yorker Verlag Scribner’s und wenig später auch Ernest Hemingway. GENIUS, Michael Grandages Debüt als Filmregisseur, beschäftigt sich vor allem mit Max Perkins‘ drittem großen literarischen Fang: Thomas Wolfe. Perkins entdeckte den Autor und bearbeitete mit ihm gemeinsam mit ungeheurer Intensität an Wolfes ersten beiden Romanen LOOK HOMEWARD, ANGEL und OF TIME AND THE RIVER. Grandage dirigiert in seinem ersten Film ein wahres Starensemble: Allen voran Colin Firth in der Hauptrolle und Jude Law als Thomas Wolfe. Weibliche Stars sind Nicole Kidman als Wolfes Geliebte und Laura Linney als die Frau von Max Perkins. Trotz dieser Besetzung ist GENIUS kein Vergnügen. Das liegt an John Logans formelhaftem Drehbuch und unglücklichen Entscheidungen von Regisseur Grandage.

Die Geschickte von Max Perkins und seiner großen literarischen Entdeckung Thomas Wolfe gute Voraussetzungen für einen spannenden Film: Es prallen zwei gegensätzliche Charaktere aufeinander, die trotzdem zu Freunden werden und gemeinsam ungeachtet vieler Konflikte große Literatur schaffen. Das Hauptproblem von GENIUS ist, dass vor allem die Figur des Thomas Wolfe nur eine schauspielerische Klangfarbe haben darf: Die des manisch quasselnden und hampelnden Genies. Schon nach wenigen Minuten habe ich mir gewünscht, dass irgendjemand Wolfe eine schöne Maulschelle verpasst, damit endlich einmal Ruhe ist. Das geschieht dann nach einer guten halben Stunde, als seine Geliebte richtig wütend wird und zuschlägt, leider ohne nachhaltigen Erfolg. Um es klarzustellen: Jude Law gibt den manischen Autor mit solcher Konsequenz, dass dafür nur eine Regieanweisung verantwortlich sein kann. Verschlimmert wird das noch dadurch, dass Wolfe in einer exaltiert-romantischen Sprache redet, die seinem Schreibstil nachempfunden ist. Das ist ein Kunstgriff des Autors John Logan, der den Film letztlich zu einer dauerhaft nervtötenden Angelegenheit werden lässt. Wolfe sagt im Film über sich: „Ich bin zu laut, zu großspurig und nicht ganz echt“. Das ist das treffende Urteil über das Gesamtwerk GENIUS.

Es gibt ein paar interessante Szenen in GENIUS. Die beste ist die, in der Perkins ein Kapitel des Debütromans LOOK HOMEWARD, ANGEL in einem ständigen Dialog rigoros aber eben genial zusammenkürzt. Das ist filmisch als ein nichtabreißendes Gespräch zwischen zwei sich auf Augenhöhe begegnenden Literaturenthusiasten, die immer in Bewegung sind, spannend umgesetzt. Auch Konfrontationen zwischen Lektor und Autor, die erst fachlicher und dann auch persönlicher Natur sind, setzen Reizpunkte. Diese sind im Film aber die große Ausnahme. Andere Figuren außer diesen beiden bleiben blass. F. Scott Fitzgerald (Guy Pearce) und besonders Ernest Hemingway (Dominic West) sind eher Requisiten, die aber nur wenig zur Geschichte beitragen. Ein ewig aufdringlich und trotzdem seicht dudelnder Soundtrack, ist ein weiterer Faktor, der an die Nerven geht.

Am Ende von 104 Minuten GENIUS hatte ich das Gefühl, als hätte ich viel Zuckerzeug zu mir genommen und trotzdem wenig Genuss gehabt. Es ist von allem zu viel: Zu viel Gerede von Wolfe, zu viel Drama von Wolfes Geliebter Aline, zu viel heimelige Familienstory um Perkins‘ Frau und die süßen, süßen Töchterchen und zu viel Brauntöne in der seltsam historisierenden Farbpalette der Bilder. Zu wenig hat Michael Grandage allein aus den darstellerischen Möglichkeiten seines Ensembles gemacht.

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Titel

Orignaltitel

Genius

Credits

Regisseur

Michael Grandage

Schauspieler

Colin Firth

Nicole Kidman

Jude Law

Laura Linney

Drehbuch

Land

Flagge Vereinigte StaatenVereinigte Staaten

Flagge Vereinigtes KönigreichVereinigtes Königreich

Jahr

2016

Dauer

104 min.

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