Dok.fest München 2023: FÜR IMMER von Pia Lenz

Zwei Hände die ineinander greifen

"Das ist doch nicht Pistazie! Das schmeckt nach Haselnuss!" Eva nimmt einen weiteren Löffel von ihrem Eis. Nach einer Tretbootfahrt auf dem See, sitzt sie mit ihrem Mann Dieter auf einer Parkbank mit ihren großen Eisen, die unter einer großen Schicht Sahne erst geborgen werden müssen. "Probier doch mal", sagt Eva und schiebt Dieter einen Löffel Eis in den Mund. "Das ist Haselnuss", bestätigt Dieter. "Da muss sich die Verkäuferin wohl vertan haben."

Ein kleiner Moment, in dem sich eine über sieben Jahrzehnte gewachsene Vertrautheit widerspiegelt.

Pia Lenz Film zeigt aber mehr als den Alltag einer Ehe, in der auch das zunehmend aufeinander Angewiesensein die Bindung gestärkt hat. Sie bindet Fotos aus verschiedenen Lebensphasen von Eva und Dieter ein und lässt aus Evas Tagebüchern vorlesen, manchmal von Eva selbst, manchmal aus dem Off von der Schauspielerin Nina Hoss.

Eva und Dieter auf dem Balkon ihres Hauses

Die Rückschau öffnet die Geschichten hinter den Lichtreflexionen der Dinge. Ein Beispiel: das Haus von Eva und Dieter. Es ist ein großzügiges, durchdachtes Haus und liegt auf einem bewaldeten Grundstück in Hamburg Harburg. Durch die großen Fenster wird es mit Licht erfüllt. Was wir nicht sehen: das Haus brauchte 12 Jahre, um fertig gestellt zu werden. Dietmar ist von Beruf Architekt und nimmt alles sehr genau. Eva dagegen hält es nicht aus, wenn sie nicht Ordnung halten kann. Für sie war diese Phase der dauerhaften Unvollendetheit auch eine Leidenszeit.

Eva beim Schreiben

Viel Raum bekommt beim Blick zurück die Unzufriedenheit von Eva mit ihrer Rolle in der Ehe. Im Publikumsgespräch erfahren wir, dass Eva eigentlich Schauspielerin werden wollte. Im Film wird auch Evas Begeisterung für Kunst und Literatur sehr deutlich. Eine der ergreifendsten Szenen ist, wie Eva beim Vorlesen eines Gedichts von Ingeborg Bachmann überwältigt von der Schönheit in Tränen ausbricht. Aber Eva ist nicht Schauspielerin geworden, sondern Lehrerin. Wenn sie nicht gearbeitet hat, musste sie sich um Kinder und Haushalt kümmern. Viele der vorgelesenen Tagebucheinträge zeugen von ihrer Unerfülltheit. Sie verzweifelte an dem ihr zugewiesenen, begrenzten Spielfeld. Dieter nahm sich dagegen seine Freiheiten und gestaltete seine Rolle in der Familie nach seinem Gusto.

Eva und Dieter sind durch einige Stürme gegangen und mussten einen großen
Schicksalsschlag verkraften. Vielleicht gibt es aber genau deshalb diese bezaubernden Momente im Film, z.B. wenn Dieter am Silvesterabend eine Platte auflegt und beide für Ihr Alter sehr ausgelassen im Wohnzimmer tanzen.

Q&A nach dem Film
Moderatorin, Regisseurin Pia Lenz und Editorin Ulrike Tortora

Das Ende ist traurig. Aber es war absehbar und eigentlich auch der Ursprung von FÜR IMMER. Nachdem die Regisseurin Pia Lenz ihre Großeltern im Abschied begleitet hatte, wollte sie einen Film darüber machen. Da sie zunächst kein Ehepaar gefunden hatte, schaltete die Produktionsfirma Zeitungsannoncen. Darauf hatte sich die Tochter von Eva und Dietmar gemeldet. Eva war sofort von dem Filmprojekt begeistert. Ihr war es ein Anliegen, noch einmal Resümee zu ziehen. Lenz hat mit ihrem intimen, feinfühligen und berührenden Dokumentarfilm Eva sozusagen einen letzten Wunsch erfüllt und sie zur Hauptdarstellerin gemacht.

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