© Albert Baez
Joan Baez war mir immer suspekt. Ihre Sopranstimme war schön, so glockenhell, dass sie nicht zu ertragen war. Ihr Aktivismus für Bürgerrechte war gut und wichtig, er war vorbildlich. Damit einher ging eine Ernsthaftigkeit und eine Überzeugtheit, das englische Wort, für das mir keine gute Übersetzung einfällt, ist „earnestness“, die eine abschreckende Wirkung hatte. Joan Baez, geboren 1941, hatte für mich schon den Status einer musealen Legende erreicht, als ich circa 1988 einen gewissen Bob entdeckte, ein Jahrgangsgenosse von Baez, der ihr schlicht den Start seiner Karriere verdankt. Der Film verspricht, die öffentliche, die private und die geheime Seite von Joan Baez zu zeigen. Und siehe da, beziehungsweise höre da: Aus der Legende wird ein Mensch und die Stimme von Joan Baez auf ihrer Abschiedstournee 2018 ist eine Offenbarung.
Baez bereitet sich mit einer Stimmcoachin zuhause am Klavier und an der Gitarre auf ihre Farewell Tour. Hoppla, da blickt auf einmal ein riesiger Bob Dylan mürrisch von einem Gemälde herab. Respekt. Dass sie das in ihrem Musikzimmer hängen hat, zeugt von Selbstbewusstsein und verarbeiteter Vergangenheit. Auch der Film geht natürlich in die Vergangenheit zurück. Wir sehen bekannte Aufnahmen und Familienmaterial. Ein besonderer Glücksfall für die drei Regisseurinnen: Baez hat schon als Zwölfjährige ein Tage- und Sketchbook geschrieben und gezeichnet – und sie hat alles aufgehoben. Die treffenden und witzigen Zeichnungen über Ereignisse, Gedanken und Gefühle werde im Film häufig animiert und zum Leben erweckt und die Textzeilen geben Persönliches preis. Die Musikerin lässt in dieser Dokumentation so viel Nähe zu, dass es manchmal sogar weh tut.
© Mead Street Films
Rückblickend ist es verblüffend, wie plötzlich Baez 1960 zum Star wurde. „Sie hielten mich für die Jungfrau Maria und ich tat das, glaube ich auch“, sagt sie im zurückblickend mit trockenem Humor. Klar wird auch: Das Sendungsbewusstsein, dass sie als Künstlerin auszeichnet, hat sie schon als Jugendliche besessen. Mit 13 hat sie sich die Aufgabe gestellt, die Welt zu retten. Das können wir in einem Tagebucheintrag nachlesen. Wenn Baez heute auf die 60er und 70er Jahre zurückblickt, sagt sie heute selbst, dass ihr Aktivismus zu einer Besessenheit wurde.
Musikalischer Erfolg plus politisches Engagement machten die Sängerin zu einer öffentlichen Person, besonders während der Bürgerrechtsbewegung und der Proteste gegen den Vietnamkrieg. Für Baez bedeutete das auch persönliche Opfer. Die Entfremdung von ihren beiden Schwestern und auch das Scheitern der Ehe zu David Harris und die schwierige Rolle als Mutter ihres Sohnes Gabriel, der auf der Tour 2018 Schlagzeug und Percussion in ihrer Band spielte, arbeitet sie schonungslos auf: „Man kommt zu einem Punkt, wo man als Erwachsener zerbröselt und das innere Kind regiert.“
JOAN BAEZ I AM A NOISE hält die Waage zwischen Privatem, Politischem und Musikalischem. Einmal gelingt das nicht: Mit Tonaufnahmen aus einer Hypnose-Therapiesitzung Baez‘, befasst sich der Film mit Missbrauchsvorwürfen in der Kindheit gegen den Vater Albert. Auch eine Erwiderung des Vaters wird kurz von einer Kassettenaufnahme eingespielt. Trotzdem bedauert Joan Baez die Einsamkeit ihres 2007 verstorbenen Vaters in seinen letzten Lebensjahren. Aber als Zuschauer muss man diese Form der Nähe erst einmal aushalten. Aber unbestreitbar entsteht ein sehr plastisches Bild der Sängerin und Musikerin, die sehr offen über ihre immer währenden Bühnenängste spricht, doch 60 Jahre auf Bühnen in aller Welt gestanden hat.