BEUYS von Andreas Veiel (Berlinale 2017)

Alle oder keiner

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Er will die „organische Entwicklung der Gesellschaft“, er will mit seiner Kunst die Fragen beantworten, „für die sich die Menschen im Inneren interessieren“. Was Joseph Beuys vor Jahrzehnten gesagt hat, klingt heute genauso relevant. Er hat Kunst nicht nur als einzig revolutionäre Kraft begriffen, er hat auch wie ein Berserker an ihr gearbeitet. Immer und unermüdlich. Gerade dieses rastlose Schaffen und der unbedingte Wille zur gesellschaftlichen Wirkung kommt in Andreas Veiels Dokumentarfilm BEUYS brillant zum Ausdruck. Einem Film, der fast ausschließlich auf Archivmaterial vertraut und Interviews mit Zeitzeugen nur sparsam einsetzt. Eine gute Entscheidung. Aus dem Material und vor allem aus dem famosen Einsatz von Schnitt und Montage gewinnt BEUYS seine Dynamik und seine Spannung. Die Cutter Stephan Krumbiegel und Olaf Vogtländer haben dafür den Silbernen Bären für eine Herausragende Künstlerische Leistung verdient.

Veiel arbeitet in BEUYS nicht nur mit umfangreichem, erstmals den Archiven entlockten Filmmaterial, sondern auch mit einer Fülle von Negativen und anderen Bildern, die er so auf die Leinwand bringt, dass der Zuschauer nie Gefühl hat, totes Material zu betrachten – diese Bilder leben. Dabei hat der Film gar nicht den Anspruch, Beuys Werk oder Leben in allen Facetten zu zeigen. Dass sich da einer von der Familie vernachlässigt fühlte und schon als Kind diese Freiheit für sich nutzte, wird ebenso in wenigen Bildern angedeutet, wie die frühe Begeisterung für das Fliegen, die der Grund war, dass Beuys sich schließlich zu Luftwaffe meldete.

Wie sehr der Künstler in den Fünfziger Jahren unter Depressionen litt, belegt ein Gespräch mit seinem langjährigen Freund und Beuys-Sammler Franz Joseph van der Grinten. Als diese Depression überwunden war oder vielleicht um diese Depression zu überwinden, stürzte sich Beuys dann wahrhaft manisch auf das künstlerische Schaffen. Die Bewahrer der herkömmlichen Kunst trieb mit sichtlicher Freude und gescheitem Witz in den Wahnsinn, eckte überall an und machte es zu seinem Auftrag, „das System zu verändern“. Dass er dabei hinterfotzig systemimmanent vorging und 1972 gegen seine fristlose Kündigung als Professor der Kunstakademie klagte, war nur scheinbar ein Widerspruch. Dass er den Prozess gegen die NRW-Landesregierung sechs Jahre später gewann, eine herrliche Ironie.

Über Gesellschaftsveränderung sprach er am liebsten. Dabei war er weder elitär noch eigenbrötlerisch. Er gründete das Büro „Für direkte Demokratie und Volksabstimmung“, deren Büro er auf die documenta 5 in Kassel 1972 verlegte. Für 100 Tage sprach er mit jedem, der mit ihm sprechen wollte und beantwortete jede Frage. Ihn interessierte, was Menschen interessierte. Er glaubte zwar nicht, dass jeder Mensch ein Künstler ist, er glaubte aber, dass jeder das Potenzial hat, einer zu sein. BEUYS ist ein Künstlerportrait, das Lust auf Kunst macht.

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Titel

Orignaltitel

Beuys

Credits

Regisseur

Andres Veiel

Land

Flagge DeutschlandDeutschland

Jahr

2017

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