Nina Simone war eine der besten Jazz- und Bluessängerinnen aller Zeiten. Sie wurde in den Sechziger Jahren auch eine Ikone der Civil Rights Bewegung in den Vereinigten Staaten. „She was one of the greatest live performers ever, hands down“, sagt ihre Tochter Lisa Simone Kelly im Dokumentarfilm von Liz Garbus. Trotzdem war Nina Simone nicht das, was sie sein wollte: eine klassisch ausgebildete Pianistin, die die großen Werke klassischer Komponisten interpretiert. Bach ist der Komponist, den sie in Interviews nennt. „I wanted to play Bach.“ Und die Enttäuschung, dass sie damit kein Publikum fand, hört man sogar noch in den Interviews, die ein wichtiger Baustein des Films sind.
Ins Zentrum stellt die Regisseurin Nina Simones Stimme – ihre Sprechstimme ist genauso unverwechselbar wie die Singstimme. Dazu kommt die Musik und ihr Klavierspiel und zum Glück gibt es viele Ausschnitte, die gerade ihrem außergewöhnlichem Können am Klavier gerecht werden. Denn das war immer da, wie die Aufnahme eines späten Auftritts in einem Rotterdamer Club beweist, den Simone in ihrer charakteristischen Offenheit als „heiß und hässlich“ beschreibt. Ihr Gesang litt unter den Medikamenten, die sie gegen ihre Depressionen nehmen musste. Trotzdem hatte ihr Gesang noch immer Ausdruck und die langen Improvisationen am Klavier waren überraschend und genial.
Schon früh hatte Nina Simone erfahren, dass man ihr keine Karriere als klassische Pianistin zutraute. Da hieß sie noch nicht Nina Simone, sondern Eunice Waymon. Nach jahrelangem Klavierunterricht in North Carolina studierte sie ein Jahr an der Juillard School of Music in New York, aber an der renommierten Curtis Institute of Music in Philadelphia gab man ihr kein Stipendium. Also spielte sie Jazz in Atlantic City und sang nach kurzer Zeit auch, weil man sie sonst nicht weiter engagiert hatte. Das war 1954, Nina Simone war gerade einmal 21 Jahre alt und trug einen wichtigen Teil zum Einkommen ihrer Eltern und Geschwister bei.
Ihr Erfolg begann 1958, als ihre Version von George Gershwins „I loves you, Porgy“ und das darauffolgende Debut-Album „Little Girl Blue“ ein Hit wurden. Es folgten zahlreiche Studio und Live-Alben, darunter 1964 „Nina Simone in Concert“. In den Songs „Old Jim Crow“ und vor allem „Mississippi Goddam“ zeigte die Songwriterin Simone, dass sie auch eine politische Meinung hatte. Die vertrat sie mit Vehemenz. „She told Dr. King I’m not a non-violent person“, sagt ihr langjähriger Gitarrist und Musical Director Al Schackman in einem der vielen Interviews. „Mississippi Godddam“ spielt sie auch da, wo es gefährlich und wichtig war ihn zu spielen, so auch auf einem Selma-to-Montgomery-Märsche in Alabama 1965. Die Archivaufnahmen zeigen sehr deutlich, wie gefährlich das war. Im Civil Rights Movement gehörte sie zu den radikalen Stimmen. Das zeigt auch der Film deutlich. Die Energie, mit der sich Simone für ihre Ziele einsetzte, hat mit den lauen Benefizaktionen von Musikern nichts zu tun. Dass dieses Engagement auch ihrer Karriere schadete, war Simone egal.
Es gab die Musik, es gab das politische Engagement, aber Liz Garbus klammert auch das Privatleben von Nina Simone nicht aus. Das sind sicher die traurigsten Momente im Film. In den Siebziger Jahren geht Simone erst nach Barbados. Es folgt eine unglückliche Zeit in Liberia. Ihre Tochter Lisa Simone Kelly begleitete sie nach Liberia und ging dort ein Jahr zur Schule. Aus ihren berichten wird deutlich, wie schlecht es ihrer Mutter bereits damals psychisch ging und in welcher Gewalt sich das äußerte. Lisa Simone Kelly zog wieder zu ihrem Vater in die USA.
Nina Simone selbst ging zunächst in die Schweiz, dann nach Paris. Aufnahmen aus den frühen Achtziger Jahren zeigen sie in einem fürchterlichen körperlichen und geistigen Zustand. Der Film beschönigt hier nichts. Eine Besserung gibt es erst, als ihr Freunde in Paris helfen. Ein Arzt diagnostiziert eine bipolare Störung. Medikamente haben Nebenwirkungen, die man bei ihren Auftritten sehen und hören kann. Aber sie kann wieder auftreten und das Publikum, vor allem in Europa, will sie sehen. Noch im Jahr 2002 gab sie Konzerte. Nina Simone starb am 21. April 2003 kurz nach ihrem 70. Geburtstag an Brustkrebs in Frankreich. Zwei Tage zuvor hatte ihr das Curtis Institut in Philadelphia, das sie ein halbes Jahrhundert zuvor abgelehnt hatte, ein Ehrendiplom verliehen. Wie heißt es im Englischen? Too little, too late.