NARCO CULTURA von Shaul Schwarz

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In Deutschland diskutiert die Öffentlichkeit Cybermobbing, weil auf SchülerVZ dummes Zeug geschrieben wird. In Juarez, Mexiko, 500 Meter von der Grenze nach El Paso, USA, brauchte es erst zehntausende Tote (seit 2006 insgesamt 60.000!), darunter hunderte Jugendliche und auch Kinder, bis sich erste Stimmen von Müttern und Schwestern und Frauen erhoben, die ihre Wut auf die Untätigkeit der Regierung und die Unerträglichkeit der Morde hinausschrieen. Weil nach Jahren des Mordens der Kartelle, die Trauer und Wut kurzfristig größer war als die Angst und Lethargie.
Dieser Film des Kriegsfotografen Shaul Schwarz ist ein sehr eindringliches, knallhartes Doppeportrait der Polizeiarbeit in einer (staatlich) gesetzlosen Stadt und von Musikern, die die Mörder in ihren populären Liedern verherrlichen sowie in einer krassen Form psychologischer Widersprüchlichkeit auch von denen bewundert werden, die unter den Kartellen leiden. Ein altes Phänomen, das wir in milderer Form von der italienischen Mafia kennen.

Ein Anzeichen für die Auflösung staatlicher Macht ist die kafkaeske Polizeiarbeit, die mit modernsten Mitteln und Techniken bei 97%(!) der täglich rund 10 Morde zwar alle Patronenhülsen einsammelt und einzeln eintütet, aber all die Indizien gar nicht erst weiterverfolgt. Von den restlichen 3% ist so gut wie keiner der Täter verurteilt worden, während weiter Milliarden von den USA nach Mexiko fließen für Koks und Gas und Meth und die unfassbare Zahl der Mord den Kampf um die Milliarden begleiten.
Das Ganze ist ein groteskes Spiel: die einen spielen Staat und Polizei und werden geschmiert (aber hin und wieder auch ermordet) und die Narcos machen weiter ihre Milliarden und spielen Gesetz und Outlaw in einem.

Auf der einen Seite zeigt der Film die Angst und Hilflosigkeit, der Polizei anhand eines Fahnders der Polizei, die einfach weiter macht wie ein Rentner, der jeden Tag mit dem gleichen Bus zu einem Arbeitsplatz fährt, den er nicht mehr hat. Und er zeigt die Hilflosigkeit der Leute, die bloss stoisch das Blut von den Straßen waschen, wenn wieder ein paar kopflose Leichen gefunden werden.
Auf der anderen Seite die breite Bewunderung für die Drogenbosse, für ihre Milliarden, ihre SUV Kolonnen, ihre Waffen und Massaker und ihr „RocknRoll“ Leben immer am Limit.

All das wird zu den „Narco Corridas“ verarbeitet, die wie Volksweisen jeder in Mexiko kennt - musikalisch eine schmalzige Mischung aus Mariachi und Polka. Die Corrida Sänger und Kapellen verkaufen Konzerthallen aus und Millionen von CDs - bis tief hinein in die USA und deren Latino Community. Sie besingen Massenmörder und Verbrecher der übelsten Sorte, die nach ihren Gewaltexzessen so frech sind über den Polizeifunk eine Narco Corrida senden, damit die Polizei weiß, dass etwas passiert ist.

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Diese bizarre Geschichte von zwei Männern mitten im Drogenkrieg wird nicht fernseh-dokumentarisch mit Interviews und Fotos von Kartellbossen und Konkurrenzkämpfen, historischen Rückblicken und soziologischen Lösungsversuchen erzählt, sondern im Stil des Cinéma Vérité mittendrin. Ganz nah ist Shaul Schwarz an dem Sänger, wenn er sich sein Geld für einen von ihm bestellten Song beim örtlichen Drogenkiller holt oder beim Ausflug nach Mexiko (er lebt in L.A. ist Familienvater und holt sich Infos für seine Text aus dem Internet), dort kokst und ballert und den Macker macht, dann zu einem der ganz Großen des Sinaloa Kartells gebracht wird oder an dem Grab eines Bosses einen Kranz niederlegt.

Mittendrin und voll drauf auch, wenn von der Polizei all die Leichen - enthauptet, zerstückelt, verbrannt oder auch mal bloss nur erschossen - brav Staatsorgan spielend geborgen werden. Mittendrin ist der Film auch, wenn der Leiter der Polizeieinheit im Interview sagt, er müsse halt aufpassen und dann einfach vom einen auf den anderen Tag verschwindet, weil das Kartell ihm einen Tag Zeit dazu gegeben hat.

Es ist ein düsteres Kriegsportrait, ein Schlachtfest mit Musik, in dem jeder seinen Kopf verliert, der sich dem Strom aus Geld und Drogen in den Weg stellt. Die einzige Lösung wäre die Legalisierung der Drogen. Die wird nie kommen, oder erst wenn auch auf der anderen Seite des Flusses, in den USA die Leichen die Straßen pflastern, es sei denn auch da wirkt genug Geld und Druck beruhigend. Ein beängstigender, sehr, sehr guter Film.

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Titel

Orignaltitel

Narco Cultura

Credits

Regisseur

Shaul Schwarz

Land

Flagge Vereinigte StaatenVereinigte Staaten

Jahr

2012

Dauer

103 min.

Impressum