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Oktober 2012

I WANT MY COUNTRY BACK – THE TEA PARTY von Astrid Schult

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Immer wieder liest man von der Tea Party Bewegung in den USA, einer Gruppierung am rechten Rand der Republikaner, die nicht nur Obama, sondern auch der eigenen Partei das Leben schwermacht. Noch gut kann man sich an die Aufregung um die wohl prominenteste Tea Party Vertreterin Sarah Palin erinnern. Sie trat 2008 für die Republikaner als Vize-Präsidentschaftskandidatin an.

Trotzdem bleibt die Tea Party nur schwer greifbar. Wer sind die Aktivisten an der Basis? Was treibt sie an? Was für Menschen sind das? Offene Fragen, die sicherlich zu dem großen Interesse bei der Hofer Premiere von Astrid Schults Dokumentartfilm beigetragen haben.

Schult, die 2006 auf der Berlinale mit ZIRKUS IS NICH debütierte, hat acht Wochen in den USA recherchiert, bevor sie sich entschlossen hat, die Bewegung im Bundesstaat Tennessee zu filmen. Sie lässt in Wechsel mit Bildern von Tea Party Treffen und Seminaren eine Handvoll eloquenter Aktivisten zu Wort kommen, u.a. Ben Cunningham, Ken Marrero und Tess C. Die Regisseurin hat den Beteiligten versprochen, sie auch in der Nachbearbeitung des Films fair zu behandeln. Soweit man es als Zuschauer beurteilen kann, ist sie dem auch nachgekommen. Obwohl es einiges an Selbstkontrolle gekostet hätte, wie Schult auf den Hofer Filmtagen erzählt, hat sie die Aktivisten einfach erzählen lassen, ohne zu unterbrechen oder kritische Nachfragen zu stellen. Dadurch macht sie nicht nur die Einstellungen, sondern auch die Emotionen sichtbar, die die Tea Party-Mitglieder antreiben.

Die Interviewten sind gerührt von sich und den Ausführungen anderer Tea Party Anhänger, sie weinen, wenn sie an die Zukunft Amerikas denken oder sie reden sich in Rage. Ihre Devise ist ein radikaler Individualismus, in dem jeder sich selbst der Nächste ist. Eine freie Krankenversicherung wirkt für sie wie der blanke Hohn. Durch Steuererhöhungen und Sozialpolitik sehen sie ihren Besitzstand bedroht. Sie fühlen sich betrogen, belogen und in ihrer Empörung schrecken sie vor keiner noch so haarsträubenden These zurück. Der Vergleich zwischen Obama und Hitler taucht z.B. immer wieder auf.

Zwischen den Interviewsequenzen hat Schult mehrmals Schrifteinblendungen mit Informationen zur Boston Tea Party platziert. Obwohl sie sich an Fakten hält, signalisieren Auswahl und Wortwahl die eigene Position der Regisseurin. Dies ist die einzige Stelle, wo man sich überlegt, ob Schult nicht auf etwas hätte verzichten können, denn die Bilder und die Selbstdarstellungen der Tea Party Aktivisten sind bereits entlarvend genug.

Eine gekürzte Fernsehfassung von I WANT MY COUNTRY BACK – THE TEA PARTY wird am 30.10.um 22:05h auf Arte und am Tag der Wahl (6.11.) um 11:30h im SWR gezeigt. Der Film sei nicht nur denjenigen empfohlen, die sich für die Tea Party Bewegung interessieren. Er sagt auch viel aus über die USA und seine nationalen Mythen.

DEN SKALDEDE FRISØR (Love is all you need) von Susanne Bier

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Auch so kann man Entertainment Kino machen. Gut so, Susanne Bier! Warum sollte man das Feld auch einfallslosen Hollywoodstreifen überlassen?

Schon beim Vorspann von DEN SKALDEDE FRISØR wird man beschwingt von dem Lied mitgenommen, das uns den ganzen Film über begleitet: "That´s Amore" von Dean Martin. Die Kamera zeigt Luftaufnahmen der italienischen Amalfiküste und das Meer ist so azurblau, dass der Postproduktion die Regler ausgerutscht zu sein scheinen. Man fragt sich, ob Susanne Bier hier gerade die Seiten wechselt oder dann doch alles ironisch gemein ist. Schließlich ist die dänische Regisseurin nicht gerade für leichte Kost bekannt. Am Ende stimmt wohl beides.

Schon bei der nächsten Einstellung wird klar, dass auch die unschönen Seiten unseres Daseins nicht ausgespart bleiben. Ida (Trine Dyrholm) sitzt bei einer Ärztin. Der Krebs ist zwar nicht mehr nachweisbar, aber er kann, so die Ärztin, immer wiederkommen. Nicht viel später überrascht Ida ihren Ehemann in flagranti auf dem Sofa mit Tilde aus der Buchhaltung. Er hat vergessen, dass Ida nicht mehr zur Chemotherapie muss. Schlechte Vorzeichen für ein in Kürze anstehendes Fest: die Hochzeit ihrer Tochter Astrid.

Astrid (Molly Blixt Egelind) hat vor 4 Monaten Patrick (Sebastian Jessen) kennengelernt. Es ist die große Liebe und sie heiraten auf dem leerstehendem Palaco von Patricks Vater, das malerisch auf der Meeresküste thront. Schon bald nach der Anreise der Familien des Hochzeitspaars zeigt sich, dass nicht nur Ida ihre Probleme mit nach Italien genommen hat. Patricks Vater (Pierce Brosnan) ist nach dem Tod seiner Frau beziehungsunfähig, seine polterige Schwägerin verbirgt ihr Unglück hinter ohrenbetäubenden Lachen und Idas Sohn kann mit seinem Vater nach dessen Affäre noch weniger anfangen. So schleichen sich nach und nach die Makel der Realität in das Postkartenidyll.

Familienfeste, besonders Hochzeiten, sind der ideale Filmstoff, um ein Drama genussvoll auf die Spitze zu treiben. Das hat Bier in ihrem Film EFTER BRYLLUPPET (Nach der Hochzeit) eigenhändig vorgeführt. Doch DEN SKALDEDE FRISØR verliert selten den amüsanten Grundton. Statt Familiendrama bleibt der Film eine Familienkomödie. Das Besondere aber ist, dass Bier die Personen, ihre inneren Konflikte und Kämpfe nicht verrät. Bier schleust die Wirklichkeit in die Struktur einer harmlosen Sonntagnachmittagskomödie, ohne dem Zuschauer wehzutun.

Dieser kann auch während des Abspanns "That´s amore" leise mitträllern und über den Sinn des Liedes neu nachdenken.

FC Hofer Filmtage vs. FC Hofer Filmwelt

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"Ob es windet oder schneit: Die Kugel rollt". Heinz Badewitz gab sich zufrieden in seiner Doppelfunktion als Festivalleiter und Präsident zweier gegnerischerer Fußballmannschaften. Auch mehrere Zentimeter Schnee konnten das alljährliche Kräftemessen von FC Hofer Filmtage (Mitarbeiter und Fans des Festivals) gegen FC Filmwelt (Schauspieler, Regisseure, Produzenten) nicht verhindern.

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Trotz der widrigen Verhältnisse gaben die Spieler mal wieder alles und machten der über 40-jährigen Tradition des Events alle Ehre. Am Ende musste sich das Hofer Festivalteam der Hofer Filmwelt mit 0:1 geschlagen geben.

Hofer Filmtage 2012 - Ankunft

Es ist wie ein Naturgesetz: der Einstiegseintrag zu einem Festival gleicht immer dem des Vorjahrs: Auf der Berlinale friert man am roten Teppich, in sonnigen San Sebastian genießt man Tapas am Atlantik und auf den Hofer Filmtagen, ist man überrumpelt vom familiären Charme und den Kontrast zwischen Filmwelt und "unprätentiöser" Frankenstadt. Aber wenn das alles nun mal so ist? Wenn man wieder zum ersten Mal im Hofer Pressebüro steht, Festivalleiter Heinz Badewitz seine Gäste herzt, eine geschenkte Weinflasche abstellt, seine Pressekollegin einen orangen Sticker mit „Heinz“ draufklebt und Badewitz ausruft: "So, jetzt muss ich aber ins Kino", dann ist das wie die Fortsetzung einer Heimat auf Zeit.

Seit Mittwoch laufen in Hof wieder erlesende Premieren internationaler und (vor allem) deutscher Produktionen. Neben Starfilmen wie KILLING THEM SOFTLY mit Brad Pitt und LOVE IS ALL YOU NEED von Susanne Bier und mit Pierce Brosnan gibt es die Regiedebüts der Schauspielerinnen Sylvie Testud (LA VIE D'UNE AUTRE) und Nora Tschirner (WAITING ROOM). Während Testud in ihrem Spielfilm auf feste Größen wie Juliette Binoche und Mathieu Kassowitz vertraut, hat sich Tschirner mit ihrer Co-Regisseurin Natalie Beer die Freiheit genommen, einen Dokumentarfilm über vier angehende Mütter in Äthiopien zu machen.

Aber in Hof geht es nicht nur um die großen Namen. Hof ist immer auch DIE Bühne für Absolventen der deutschen Filmhochschulen. Hier (wie auch im gesamten Programm) konnte man sich bisher immer auf das Gespür von Badewitz und Team verlassen.