Er kommt. Seine Heiligkeit kommt. Der Heilige Vater kommt. Der Papst kommt, beziehungsweise er kam – am 23. September 2011 nach Thüringen. In DIE LAGE beschäftigt sich Thomas Heise filmisch mit den Vorbereitungen am Flugplatz und am Erfurter Dom, aber er dreht auch während des Besuchs selbst. Heise zeigt in ruhigen Bildern, wie eine sehr präzise Inszenierungsmaschine anläuft, die durch detaillierte Planung die Grundlage für ein kollektives Erlebnis schaffen soll.
Wie der Regisseur im Publikumsgespräch sagte, war die Entscheidung dafür, den Film in schwarz-weiß zu machen, nicht ästhetisch, sondern inhaltlich begründet: Der Verzicht auf Farbe bringt vor allem Klarheit und Übersichtlichkeit, eine Ruhe und eine Transparenz, die im Gewimmel von Menschen und Farbtupfern untergegangen wäre. Davon befreit schärft die Kamera den Blick: Seine Heiligkeit sorgt für Anspannung bei den Beteiligten, schon bevor er da ist. Der Papst verlangt nach minutiöser Planung. Wenn er kommt, ist jeder Schritt voraus geplant. Der Heilige Vater ist sehr mächtig, das ist gar nicht zu bezweifeln. Denn nur wegen ihm setzen sich nicht nur Pilger- und Limousinenkarawanen in Bewegung, sondern auch Politiker, Kirchenmänner und –frauen und Scharen von Blumenkindern tun das. Über allem wachen LKA, BKA, die Polizei und Scharfschützen.
Heise zeigt das, aber er macht sich keineswegs über den Aufwand lustig. Denn trotz der Kühle der Bilder: Sie vermitteln auf indirekte Weise und vor allem über die Tonspur – das Ave Maria, das ohne Unterbrechung von verschiedenen Gläubigen gesprochen wird, die wiederholte Erinnerung der Protokollbeamten an den „gebührenden Abstand zum Heiligen Vater“ und durch das rezitierte Glaubensbekenntnis – dass Benedikt VI. und die „heilige katholische Kirche“ Heilserwartungen wecken, mit denen andere Institutionen nicht konkurrieren können. Und diese anderen Institutionen lassen sich von den religiösen wie selbstverständlich für die Inszenierung in Besitz nehmen. Heises Bilder sezieren es.
In einem großen Moment des Films fängt die Kamera aus der Entfernung das Gesicht des Papstes ein, während aus dem Off eine Stimme aus Paulus-Briefen an die Korinther zitiert. Die Kamera verweilt lange auf dem Gesicht des Papstes. Da geschieht die Verwandlung. Dort sitzt nicht mehr er, sondern Joseph Ratzinger. Der Heilige Vater ist der Anführer einer mächtigen religiösen Institution. Joseph Ratzinger ist ein alter Mann. DIE LAGE zeigt beide.