Die Fremde von Felo Aladag

Die Fremde ist der erste Film von Feo Aladag als Regisseurin und er ist ihr gleich rundherum gelungen. Aladag, die sich bisher als Schauspielerin und Drehbuchautorin einen Namen gemacht hat, hat sich einem sensiblen wie aktuellen Thema angenommen: dem "Ehrverbrechen" in der Einwanderungsgesellschaft. Bei so einem Thema kann viel schief gehen. Aladag und ihrem hervorragenden Cast gelingt es aber auf bemerkenswerte Weise, die unterschiedlichen Facetten in einem gesellschaftlichen Konflikt auszuleuchten.

Umay (Sibel Kekilli) ist in Berlin groß geworden und lebt mit ihrem sechsjährigen Sohn bei der Familie ihres Manns Kemal in Istanbul. Kemal ist ein Macho par excellence und setzt seine Vormachtstellung in der Familie notfalls auch mit Gewalt durch. Als sie es nicht mehr aushält, flieht Umay mit Cem zu ihren Eltern nach Berlin. Dort hofft sie, wieder ein zu Hause zu finden. Umay glaubt fest an die Solidarität der Familie. Doch sie hat sich getäuscht. Die anfängliche Freude der Eltern legt sich bald. Die Trennung ist für sie nicht akzeptabel. Während die Eltern von Umay die gesellschaftliche Ächtung fürchten, fühlt sich ihr älterer Bruder Mehmet in der selbst ernannten Rolle als Hüter der Familienehre herausgefordert und versucht diese wie Umays Mann in Istanbul mit Gewalt zu verteidigen. Als Umay befürchten muss, dass man Cem ohne ihren Willen zurück zu seinem Vater nach Instanbul bringen will, beschließt sie ein weiteres mal zu fliehen. Diesmal vor ihren eigenen Familie.

Wie in Gegen die Wand spielt Sibel Kekilli auch in Die Fremde ihre Figur mit ungeheurer Intensität und großartiger Leinwandpräsenz. Die Situationen der Frauen, die Kekilli in beiden Filmen verkörpert, weisen zunächst deutliche Parallelen auf. Auch in Gegen die Wand flieht eine junge Frau vor ihrer Familie, insbesondere vor ihrem Bruder. Doch während Sibel in Akins Film eine Rebellin ist, die ihre Freiheit sucht, ist Umay eine gesellschaftlich angepasste Frau, die erst geht, als es keinen anderen Ausweg mehr gibt. Im Gegensatz zu Sibel will Umay immer Teil der Familie bleiben. Es ist egal wie erniedrigend sie zurückgewiesen wird, Umay sucht wiederholt den Kontakt zur Familie und fleht darum, wieder aufgenommen zu werden. Dieses mitanzusehen, führt auch den Zuschauer bis an die Grenze des Schmerzes.

Aladag widersteht der Versuchung, die Positionen nach einem Gut-Böse Schema in zwei Lager zu teilen. Genauso wie Umay das Unmögliche will und ihrer Familie keine Zeit gibt, sich mit der neuen Situation auseinanderzusetzen, wird auch gezeigt, wie der Handlungsfreiraum der männlichen Charaktere durch die tradierten Rollenvorstellungen und das gesellschaftliche Umfeld stark eingeschränkt wird. So wird es möglich, in ihrem Zwiespalt auch für den Vater und dem Bruder so etwas wie Mitleid empfinden. Dennoch wird ihnen die Verantwortung nicht abgenommen und die Kritik an der fehlender Courage, über den eigenen Schatten zu springen, bleibt unberührt.

Feo Aladag hat sehr lange und ausführlich für ihren Film recherchiert. Sie hat Einzelgeschichten der letzten 15 Jahre durchgearbeitet und sie in den Film mit einfließen lassen. Das ist sicherlich einer der Gründe, warum man Die Fremde zutraut, die Fronten nicht zu vertiefen sondern im Gegenteil ein Ausgangspunkt für einen Dialog zu werden.

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Titel

Orignaltitel

Die Fremde

Englischer Titel

When We Leave

Credits

Regisseur

Feo Aladag

Schauspieler

Derya Alabora

Sibel Kekilli

Florian Lukas

Tamer Yigit

Land

Flagge DeutschlandDeutschland

Jahr

2009

Dauer

119 min.

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