
ETA im Nebel
Am 1. Dezember 2007 wurden zwei spanische Zivil-Polizisten in Frankreich auf dem Parkplatz einer Raststätte von zwei Mitgliedern der ETA erschossen. Die Absurdität und die Sinnlosigkeit der Tat waren der Impuls für den spanischen Regisseur Jaime Rosales "Tiro en la cabeza" zu drehen. Eine Woche nach dem Geschehen war das Drehbuch geschrieben, nach einem Monat begann er zu drehen und 3 Monate später war der Film bereits fertig. Herausgekommen ist dabei eine Tierfilm über die ETA.
Jaime Rosales Film ist die konsequente Umsetzung einer Idee, so wie man sie im ersten Moment gehabt hat. Er observiert den Alltag eines der ETA-Attentäters aus der Perspektive des Tierfilmers. Als ob er im Gebüsch sitzt, zoomt er auf das Leben von Ion: er filmt wie er frühstückt, wie er sich mit Freunden trifft, eine kurze Affäre hat. Die ganze Zeit hören wir nur Hintergrundgeräusche, aber nicht die Unterhaltungen. In den ersten 10 Minuten denkt man noch, das sich das jeden Moment ändern wird. Aber dann wird klar, dass "Tiro en la cabeza" ein Film ohne Dialoge ist.
Jaime Rosales macht es einem mit seinem Stummfilm über das Problem des Baskenlandes nicht leicht. Zusammenhänge müssen wir selbst herstellen. Das Profil von Ion erstellen wir nur anhand der Bilder. Das Auffällige an ihm ist das Unauffällige. Ohne den Inhalt seiner Gespräche zu kennen, in denen er sich vielleicht erklären würde, wirkt er wie ein beliebiger Einwohner von San Sebastian (ein Großteil des Films wurde in San Sebastian gedreht). Die Normalität Ions macht den Mord noch unverständlicher und irrationaler. Auf der anderen Seite, und das ist eigentlich die Botschaft von Rosales, weckt die gleiche Normalität aber die Hoffnung, dass sich durch rationale Argumente ein Ausweg aus der irrationalen Gewalt im baskischen Konflikt finden lässt.
Der experimentelle Mut des Regisseurs ist ohne Zweifel lobenswert. Am Ende des Films bin ich aber doch sehr am Zweifeln, ob es 90 Minuten für die Umsetzung seiner Idee wirklich braucht. Nach 30 Minuten hat man gesehen das Ion ein normaler Kerl ist und nach 90 Minuten hat man nichts wirklich neues zum Konflikt des Baskenlandes erfahren.
Auf der Pressekonferenz nach der Vorführung des Filmes hat man das Gefühl, dass sich die Sprachlosigkeit des Films weiter fortsetzt. Als ob er sich durch vermintes Gebiet bewegt, versucht Jaime Rosales, abgesehen von der Ablehnung der Gewalt, nicht Partei zu ergreifen und verliert sich im Abstraktem und dem Ruf nach gemäßigten Moderatoren. Diese Haltung stieß nicht bei allen spanischen Journalisten auf Verständnis, denn die Gewalt durch die ETA war während des Festivals sehr konkret geworden. Am vergangenen Wochenende hatte die ETA in Nordspanien mehrere Anschläge verübt. Mehrere Personen wurden verletzt wurden und ein Soldat kam in Kantabreien durch eine Autobombe ums Leben.
"Tiro en la cabeza" ist sicherlich kein Film, den man gleich wenn man aus dem Kino kommt beurteilen kann. Er ist nicht darauf angelegt, dass man gleich begeistert ist oder dass man sich gut unterhalten fühlt. Er repräsentiert eine Film-Kunst deren Wirkung auf lange Zeit angelegt ist. Dass "Tiro en la cabeza" allerdings tatsächlich eine neue Facette im baskischen Konflikt zeigt, die zur Lösung des baskischen Konflikts beiträgt, dass erscheint mir auch auf längere Sicht äußerst zweifelhaft.
Spanien