„Sharon“ von Dror Moreh

sharon-1.jpg

Ethnografisches Portrait eines Stammesführers


Eine israelische Dokumentation über Sharon? Muss das sein? Das Besondere an dem Film von Dror Moreh ist, dass er Sharon sechs Jahre lang begleiten konnte. Aus hunderten Stunden Material machte er einen Dokumentarfilm, der erklären soll, warum Arik Sharon 2003 den Abzug aus dem Gazastreifen anordnete. Ausgerechnet Sharon, der größte Vorreiter und Unterstützer der Siedlerbewegung seit ihren Anfängen 1967. Ausgerechnet Sharon, als Verteidigungsminister für den blutigen Libanonfeldzug und die Morde von Sabra und Shatila mitverantwortlich.

Um den Sinneswandel zu erklären, versucht Moreh dem Menschen Sharon nahe zu kommen. Die intimen Momente mit Sharon, die ihn als Farmer zeigen (ganz groß einmal gemeinsam mit Condi Rice, die den denkwürdigen Satz sagt: „He introduced me to his sheep“), im Museum oder im kleinen Kreis in entscheidenden Momenten seiner Karriere haben Seltenheitswert und faszinieren. Der öffentliche Sharon und die politischen Umstände sind dagegen hineichend bekannt und werden durch den Film nicht bemerkenswert neu kommentiert.

Die Doku wurde in zwei Versionen produziert, einer israelischen und einer internationalen, die auf innenpolitische Aspekte wie Sharons Korruptionsaffären oder die Gründung seiner neuen Partei „Kadima“ verzichtet. Während das noch nachvollziehbar ist, sind andere Leerstellen problematisch: Gewalt vollzieht sich im Film immer nur in eine Richtung, gegen Israel. Die schlimmen Selbstmordattentate der Hamas, bei denen im Frühjahr 2002 dutzende Israelis ums Leben kommen setzen Sharon unter Druck der israelischen Öffentlichkeit. Dass bei der folgenden Militäroperation „Operation Defense Shield“ 131 Zivilisten ums Leben kamen wird in einem Nebensatz erwähnt, aber ebenso wenig visualisiert wie die täglichen Leiden und Enschränkungen der Palästinenser unter der Besatzung. Bei den Kommentaren der interviewten (ehemals) staatstragenden Politiker, ist sich ein wie immer in arroganter Pose auftretender Joschka Fischer nicht zu schade, Sharons krankhaftem Misstrauen gegenüber der arabischen Welt in fataler Weise das Wort zu reden. "Den Arabern" ist eben nicht zu trauen, so die Botschaft. Als einziger Palästinenser kommt Saeb Erekat zu Wort.

Der Privatmann Sharon ist nicht unsympathisch; am Ende des Films bleibt dem Betrachter diese irritierende Sympathie und große Ratlosigkeit. Immerhin wird deutlich, dass die Komplexität seiner Persönlichkeit nicht auf einen einfachen Nenner zu bringen ist – weder von seinen Verehrern, noch seinen Feinden (die zahlreicher sein dürften). Der Film ist vielleicht eher als ethnographische Studie zu verstehen. Dazu passt, dass der alte, schwergewichtige Sharon im Stile eines patriarchalischen Stammesführers auftritt. Den Anspruch, durch „teilnehmende Bebachtung“ den tieferen Sinn seiner Handlung zu verstehen muss aber scheitern. Wahrscheinlich wäre auch in einer 100-Stunden-Fassung nicht zu klären, wie Israel heute aussähe, wäre Ariel Sharon nicht am 4. Januar 2006 nach einem Schlaganfall ins Koma gefallen.

Kommentiere den Film oder den Eintrag

Titel

Orignaltitel

Sharon

Credits

Regisseur

Dror Moreh

Land

Flagge DeutschlandDeutschland

Flagge IsraelIsrael

Jahr

2007

Impressum