Genenet al asmak (The Aquarium) von Yousry Nasrallah

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Youssef und Laila gehen in Kairo ziemlich unterschiedlichen Berufen nach: Sie moderiert eine Radiosendung, in der Menschen ihr Herz ausschütten, er ist Anasthäsist und befördert seine Patienten in den Dämmerzustand. Um diese beiden Charaktere wird ein höchst ungewöhnlicher ägyptischer Film erzählt.

Ein arabischer Film fernab jeglicher nahöstlicher Klischees und Orientalisierung; ein wunderschöner Film mit einer universalen Botschaft: Menschen haben nicht nur alle möglichen Ängste, sondern auch besonderes Talent, diesen Ängsten soviel Raum zu geben, das sie ihr ganzes Leben beherrschen, alle Beziehungen, bis sie wie Fische in einem gläsernen Aquarium in scheinbarer Sicherheit schwimmen – wenn das Aquarium nicht gerade platzt und sie herausgeworfen werden aus der Welt. Genenet al-asmak ist ein symbolischer Film, der auf vielen Ebenen funktioniert; in einem düster und modern gezeichneten Kairo zeigt er Menschen auf der Flucht vor ihren eigenen Gefühlen und eine Gesellschaft voller Doppelmoral und verdrängter Ängste.

Laila wohnt allein. Sie hat eine Affäre mit einem einflussreichen Mann und bleibt zerrissen zwischen der Sehnsucht, ein selbstbestimmtes, unabhängiges Leben als Frau zu führen und den gesellschaftlichen Zwängen und Normen in Ägypten, die dies höchstens Männern zugestehen. Mit knallrotem Lippenstift und neuer Frisur versucht sie vor sich selbst zu fliehen, aber die vermeintliche Erneuerung ist nur eine neue Maske. Laila ist zutiefst unglücklich, will sich das aber nicht eingestehen. Als sie einen Zirkus besucht, ist sie fasziniert von dem Löwenbändiger: Der Dompteur weist den wilden Löwen so in die Schranken – aber er stellt sich auch der tödlichen Gefahr. Wie eine ägyptische Holly Golightly ist Laila auf der Flucht vor Verbindlichkeit. Einem Kollegen erzählt sie ihre Idee für ein Kinderbuch: Eine Prinzessin trifft ihren Traumprinzen, aber der verwandelt sich in eine Taube. Er kann nur dann wieder Menschengestalt annehmen, wenn sie allen Menschen erzählt, dass sie einen Vogel liebt. Vor Scham und Furcht vor der Blamage schweigt sie, bis ein Jahr später die Sehnsucht zu groß wird. Kaum hat sie sich zur ihrer geliebten Taube bekannt, erscheint der Prinz: Doch es ist zu spät, sagt er traurig, er hat in der Zwischenzeit eine andere geheiratet.

Lailas Prinz, soviel ist klar, könnte Youssef sein. Auch Youssef ist allein. Im Krankenhaus pflegt er seinen alten, kranken Vater, der auf seinen braven, aber weichen Sohn herabsieht. Youssef ist rastlos, auch er hat Angst sich festzulegen. Youssef sagt, dass er besonders die Zwischenzustände mag, den Moment, in dem die Menschen die er betäubt abgleiten, in einen Zustand zwischen Bewusstsein und Unbewusstsein. Diesen Zustand findet er in Lailas Nachtprogramm wieder. Er hört ihre Sendung und ruft sie eines Abends an. Sein Problem sagt er, sei folgendes: Er sieht von seinem Fenster auf den Park des Aquariums, ein ödes Labyrinth, das auf ihn bedrohlich wirkt. Er traut sich nicht hereinzugehen, aus Angst, vielleicht nicht mehr zurückkehren. Das Aquarium symbolisiert seine Urängste im Leben - und ihre. Sie ist berührt von Youssef, der ihr nahe geht, und so entscheidet sie die aufgezeichnete Sendung zu löschen. Später treffen sich beide zufällig in Youssefs Krankenhaus. Sie erkennen sich an ihren Stimmen und ihrer Einsamkeit, die sie nicht ablegen können.

Wut und Scham regiert die Welt, ganz sicher da, wo die Doppelmoral so offensichtlich wird wie in Ägypten, wo die Mutter eines vergewaltigten Mädchens Youssef vor der Abtreibung in der Klinik fragt, ob ihre Jungfräulichkeit denn nun wieder hergestellt werden könne. Aber er zeigt auch ein Land auf der Suche nach Alternativen, z.B. die ägyptische gesellschaftliche Bewegung, die gegen diese „Republik der Angst“ aufbegehrt: Demonstranten der zivilgesellschaftlichen Protestbewegung „Kifaya“, wörtlich „es reicht“, werden prominent ins Bild gerückt. Nasrallahs Sympathie ist unübersehbar, aber die Demonstranten stehen (noch) auf verlorenem Posten. Und ihre Botschaft gilt in diesem Fall nicht nur Ägypten, sondern der ganzen Region, einer zunehmend von Angst bestimmten globalen Politikkultur. Während der Film einerseits als universelle Charakterstudie funktioniert und menschlich berührt, ist diese politische Ebene unverkennbar: Weil, wie Regisseur Youssef Nasrallah nach der Weltpremiere des Films anmerkt, seit dem 11. September die Angst immer mehr unsere Gesellschaften und ihre Politik bestimmt. Angst vor Veränderung, Angst vor dem Staat, Angst vor der den Islamisten. Angst aber ist immer ein schlechter Ratgeber, im Leben wie in der Politik.

In einigen zusätzlichen Szenen erzählen die Darsteller, wie sie ihre Charaktere einstudiert haben; dabei handelt es sich um weitere Rollen, in denen die Schauspieler in einem Zwischenzustand zwischen Charakter und Darsteller agieren. Diese Szenen wurden digital gedreht und werden sich auf der Fernsehversion für Arte nicht wiederfinden. Es besteht kein Zweifel, dass auch diese Version genauso sehenswert sein wird. „Genenet Al-Asmak“ ist ein wundervoller Film, der durch seine universelle Gültigkeit tief bewegt. Auf die unvermeidliche Frage aus dem Publikum, wie der Film wohl in Ägypten aufgenommen werde, antwortet Regisseur Nasrallah: "Ich denke genauso wie hier." Das ist zu hoffen, denn das Berlinalepublikum feierte bei der Premiere einen der sicher besten Filme des diesjährigen Panoramas.

Kommentare ( 1 )

Eine sehr gute Kritik. Mir hat der Film sehr gut gefallen.
Und ich denke, es ist genau diese Art von Universalität, die heute gebraucht wird.

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Titel

Orignaltitel

Genenet al asmak

Englischer Titel

The Aquarium

Credits

Regisseur

Yousry Nasrallah

Schauspieler

Tamim Abdou

Menha El Batraoui

Ahmed El Fichawy

Gamil Rateb

Hend Sabry

Bassem Samra

Amr Waked

Dorra Zarouk

Land

Flagge ÄgyptenÄgypten

Flagge DeutschlandDeutschland

Flagge FrankreichFrankreich

Jahr

2008

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