ÜBER UNS DAS ALL von Jan Schomburg

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„Dahinter kommt nichts“, hätte ich den Film genannt. Über uns das All klingt so sehr nach Möglichkeiten, aber darum geht es gar nicht. Es sei denn, Jan Schomburg zitiert irgendwie Paul Bowles Roman, „The Sheltering Sky“, in dem hinter dem Himmel nämlich die Kälte und der Tod des Alls lauern.
Der Film hat ein Thema, auch gute Schauspieler, fängt gut an, findet dann aber nichts mehr, wenn die große Wendung war: keine Tiefe, keine Gründe und vor allem keine Motivation der Figuren. Sie schweben, um im Bild zu bleiben, im luftleeren Raum der Geschichte.

Thematisch klang es irgendwie bekannt: Eine Frau entdeckt, dass ihr Mann nicht der war, der er vorgab zu sein. Besonders ist in Jan Schomburgs Film, dass es null Nachforschungen gibt, warum der Mann seine Frau jahrelang belog und was er stattdessen war oder tat und warum er sich letztlich das Leben nahm. Ok, warum nicht? Dann werden wir wie die Figur mit dem Nichtwissen leben müssen, was die Identifikation mit ihr und die Spannung sogar erhöht.

Aber auch darum geht es gar nicht. Stattdessen werden wir mitten im Film, das auch ungewöhnlich, plötzlich mit einer neuen Figur konfrontiert, einem neuen Mann für Marta, in dem sie irgendwie auch ihren Mann sieht. Nicht wie Nicole Kidman in BIRTH, als Wiedergeburt des Toten, sondern erst ein wenig psychotisch, als eben dieser Mann, einige Wochen später, etwas kompatibler, als ein Neuer, mit dem man dort weitermacht, wo man mit dem Toten aufgehört hat. Da ist dann die Spannung verpufft, weil man zwar ahnt, dass Marta noch nicht ganz wiederhergestellt ist, aber das erst am Ende die Geschichte auch weitertreibt.


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Der Wechsel zu einer zweiten Hauptfigur? Warum nicht. Nur wirken leider die bei dem Mann angedeuteten Lügen und Motivationen banal und unwichtig. Ich will auch eigentlich mehr über Marta erfahren, über ihre Gefühle und Motivation. Sie macht - soviel ist klar - den Versuch, den Spieß umzudrehen und mit diesem Mann zu tun, was ihr angetan wurde. Der Neue will erstaunlicherweise dann auch nach Marseille, was ja nach dem Gesetz des Zufalls durchaus möglich erscheint, aber für den Film einmal zu viel an Zufall ist. Genau wie die Tatsache, dass all die Freunde, die Marta mal hatte (während ihr toter Mann gar keine hatte, um nichts von sich zu zeigen) irgendwann nicht mehr zu existieren scheinen, so das sie ihr falsches Leben mit dem Neuen ungestört führen kann. Niemand stellt Fragen, sie muss nicht mehr arbeiten, der andere Mann hat eine zweite Beziehung am Laufen, reicht als Thrill oder auch Hinweis, dass das auch mit dem Toten so gewesen sein könnte, trotzdem nicht aus. Zu viele Lücken für einen Film.

Die größte Lücke ist, warum der Film als eine Suche nach Gründen für die Lüge beginnt, um sich dann in einer neuen Beziehung von Marta zu verlieren und alles ungeklärt zu lassen. Denn auch IN der neuen Beziehung kommt das "Geheimnis" erst am Ende raus. Und dann auf in den Süden.
So sehr sie der Tod geschockt haben muss, so wenig scheint sie dann zu interessieren, was wirklich passierte. Das mag psychologisch nachvollziehbar sein im Sinne des Selbstschutz. Dramaturgisch ist es das aber leider nicht. Ohne Motivation und ohne Neugier der Figuren interessiere ich mich auch nicht, ob ihr das neue Leben gelingt, ob die Beziehung, deren Grundlage und wir nicht erfahren, gelingt.

Und daher gelingt auch der Film nicht aus meiner Sicht. Er hat, um verrätselt zu sein, ein paar Leerstellen zu viel gelassen in den Hauptcharakteren und der Geschichte und dem Antrieb der Figuren. So viele, dass ich irgendwann aus der Geschichte herausfiel und nur noch wartete, dass Marta in Marseille landen würde - was man irgendwie vorher als Ende schon ahnte.

Kommentare ( 2 )

Ich muss unbedingt auf die obige Kritik eingehen. Als erstes möchte ich bereits der Aussage, es fehle an Tiefe, Gründen und der Motivation der Hauptfiguren, widersprechen. Es ist schwierig einem Film Tiefe nachzuweisen. Ich kann nur von mir sprechen und der Stimmung, die heute in diesem Saal herrschte. "Über uns das All" mag nicht für jedes Problem, jede Tatsache und jede Handlung eine "Lösung", einen Grund liefern. Dieser Film kann es nicht und er tut es nicht, weil es das ist, was es so oft einfach nicht gibt. Selbstverständlich will der Zuschauer einen Grund, er wird geradezu verrückt. Er will wissen warum. Der Mensch will wissen warum. Doch die Realität lässt das oft nicht zu. Und dann ist da die Frage, wie weit ich es wissen will. Dieses warum. Ob ich damit leben kann. Ob es mich kaputt macht. Ob ich es herausfinden kann, will und darf. Martha ist ein vielseitiger Charakter. Sie gibt dem Film die "Tiefe". Auf der einen Seite will sie es ja wissen, auf der anderen sucht sie nach einem Weg mit dem, was sie nun "zu viel" weiß klarzukommen. Sie ist gleichzeitig Trauernde und Betrogene. Es ist eine unwirkliche Welt, die sich da vor ihr aufbaut. Und das wird in diesem Film in einer bis zum Zerreißen gespannten Atmosphere dargestellt. Die Motivation der Figuren ist meines Erachtens sehr gut nachzuvollziehen. Was hier zu sehen ist, ist das realistische Bild eines Menschen. Hier gibt es nicht nur einen Weg, der Mensch wird ständig beeinflusst von außen, ändern seine Meinung, seine Einstellung und zweifelt auch an sich selbst. Ein klares Ziel wird hier nicht verfolgt.

Ja, dieser Film wirft viele Fragen auf. Das ist wahr. Vielleicht sogar mehr, als er beantwortet. Er beschäftigt und lässt den Zuschauer nicht so schnell los. Nicht alles wird geklärt, der Perspektivenwechsel kommt überraschend, ist allerdings nicht unangenehm. Er lenkt nicht ab, sondern ermöglicht wenn nicht sogar noch mehr Tiefe. Der Fokus liegt eindeutig auf Marta und ihrer zweiten Beziehung. Ganz unterschiedlich betroffen, schaffen sie sich doch ihre eigene Welt. So wie sie wollen, eine heile Welt. Sie suchen in sich gegenseitig Schutz und Geborgenheit und bekämpfen das "Alleinsein". Es ist wie eine Traumwelt in der Realität. Zu Beginn des Filmes wollte ich unbedingt wissen, warum Paul sich getötet hat und warum die Lügen, warum kein Abschiedsbrief. Es schien nicht real. Für mich nicht, für Marta nicht. Doch in diesem Film ist man hauptsächlich Marta und ich kann mitnachvollziehen, warum sie nicht mehr suchen will, ihre Wunden vertiefen. Es geht hier nicht um Mysteriöses, es geht nicht um Spannung und ein Ende mit der perfekten Auflösung. Der Film lebt von Widersprüchen. Ich muss auch dem "vorhergesehenen" Ende widersprechen. Auch hier überraschte mich ein Widerspruch. Ein relativ fröhliches, fast schon "Happy End" - Ende, verfeinert mit lebenslustiger Musik. Erwartet hätte ich eher eine/n zweiten Toten: Denn alles passiert zweimal.

christian caravante kritisiert fehlende Kausalketten und rationale Erklärungen . Du meine Güte, gerade die Offenheit der Kontexte lässt den Film doch seine sachliche Distanz zu den Personen, die Ihrerseits nichts wissen, Knock,Knock. Du meine Güte. Den Rest erspar ich mir jetzt aber, Caravante !

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Titel

Orignaltitel

Über uns das All

Englischer Titel

Above Us Only Sky

Credits

Regisseur

Jan Schomburg

Schauspieler

Georg Friedrich

Sandra Hüller

Felix Knopp

Land

Flagge DeutschlandDeutschland

Jahr

2011

Dauer

88 min.

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