"Shine a Light" von Martin Scorsese

Shine_a_light1.jpg

Was hat Falten und macht Krach? Keith Richards.

Garagenrocker unter Dampf: Ein Hörfilm

Woran erkennt man einen ernsthaften Filmkritiker, der aus der Vorführung von „Shine a Light“ kommt? - Am zerknautschten Gesicht. 122 Minuten Naserümpfen hinterlassen eben Spuren. Sie haben sich ja so gelangweilt, die schreibenden Trüffelschweine, die verzweifelt nach dem kulturell anspruchsvollen Filmabenteuer suchen. Ein „konventioneller Konzertfilm“ über das den internationalen Konzern „Rolling Stones“ zur Eröffnung der Berlinale? Geschmacklos! - Hätten sie doch bloß einmal hinGEHÖRT.

In diesem Film geht es vor allem um Sound. Von seinen angeblich 16 Kameras hätte sich Martin Scorsese 13 sparen können. Die Stones aber klingen wie eine alte Dampflok mit glühendem Kessel, die in jeder Kurve zu entgleisen droht. Es rumpelt, stampft und jault, dass es eine wahre Freude ist. Die Tonspur dieses Films klingt wie der teuerste Live-Bootleg aller Zeiten. Mick Jagger ist des öfteren ziemlich außer Atem, die Herren Richards und Wood vergreifen sich in voller Lautstärke an den Saiten und erwischen nicht immer die richtigen. Charlie Watts trommelt stoisch dazu. Ladies and gentlemen: The oldest garage band in the known universe! Man hört also alles das, was man auf den polierten offiziellen Live-Dvds und Cds mit all ihren Overdubs nie hört. Dabei bleibt, anders als beim herkömmlichen Soundboard-Bootleg, jedem Instrument sein eigentümlicher Klang - soll heißen: Gesang, Gitarre, Bass, Keyboards und Bläser sind im Mix so perfekt unterscheidbar, dass man die Summe der einzelnen Teile und alle schmutzigen, kleinen Fehler hört. Besser geht’s nicht.

Shine_a_light2.jpg

Hinzu kommt: Die Songauswahl ist grandios. Besonders dann wenn die alte Dampflok Kohlen nachlegen muss, es also etwas langsamer wird. „Some Girls“ und „Far Away Eyes“ sind zwei Höhepunkte aus der Countryecke und bei „You Got the Silver“ beweist Keith Richards zum xten-Mal: Er kann zwar nicht singen, das aber besser als jeder andere. Herausragend ist eine Coverversion. Den Muddy Waters-Song „Champagne und Reefer“ spielen die Stones gemeinsam mit Buddy Guy: Blues und sonst gar nichts. Jagger beweist Größe und lässt sich von dem 71jährigen Bluesman gelassen an die Wand singen. Diese Gelassenheit ist allen Filmästheten zu wünschen, dann klappt’s auch wieder mit den Gesichtszügen.
Mit freundlicher Empfehlung von Muddy Waters:

Yeah, bring me champagne when I'm thirsty.
Bring me reefer when I want to get high.
Well, you know there should be no law
on people that want to smoke a little dope.
Well you know it's good for your head
And it relax your body don't you know.

IMG_1810.jpg
Unser Autor mit einem dankbaren Fan

Kommentare ( 3 )

Keith und Töffe - ein schönes Paar!!!

Martin Scorcese hat mit „Shine a Light“ seinen ersten, grandiosen Sience-Fiction-Film vorgelegt. Der Plot spielt im Jahr 2062 und ist schnell erzählt. 100 Jahre nach ihrer Gründung werden die mit speziellen Methoden eingefrorenen und konservierten Mitglieder der Band „The Rolling Stones“ aufgetaut und spielen ein Jubiläumskonzert auf einem fernen Planeten.

„Went out walkin' through the wood the other day
And the world was a carpet laid before me
The buds were bursting and the air smelled sweet and strange
And it seemed about a hundred years ago“

Das Konzert spielen sie vor ausschließlich jugendlichen und gut aussehenden Fans, denn im Jahr 2062 ist hat das Klonen und Konservieren von Menschen gewisse Fortschritte gemacht. Der Film beschränkt sich ansonsten – abgesehen von kurzen dokumentarischen Rückblicken auf die Geschichte der Stones in fernen schwarz-weißen Zeiten – ganz auf die Kraft der rockenden Senioren, und die ist ungebrochen. Das wird deutlich, als der blasse Urenkel von Jack White (Sänger der White Stripes, einer im Jahre 2062 längst vergessenen Band) und die Urenkelin von Christina Aguilera dazu stoßen und nicht im Entfernten mithalten können mit den Wiederauferstandenen.

„If you start me up
If you start me up I'll never stop
If you start me up
If you start me up I'll never stop
I've been running hot.“

Am Anfang des Films kommt Bill Clinton, ein ehemaliger US-Präsident, der gemeinsam mit seiner Frau nach deren Wahlniederlage bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2008 eingefroren wurde. Er sieht müde aus. Nur „die Stones“, wie sie in früheren Zeiten genannt wurden, sind hellwach. Ihr Geheimnis? Das erfuhr ein Reporter schon in den 60er Jahren, wie die alten Ausschnitte beweisen. „Was machst du, bevor du vor hunderttausenden Leuten auftrittst?“, fragt er Keith Richards in einem alten Interview. „I wake up“ sagt Keith trocken. Und dann rocken sie, fast zwei Stunden lang, und spielen ihre alten Songs, die jetzt sogar die jungen Außerirdischen, die ihre Handykameras in die Lüfte recken, irgendwie begeistern.

Im Rest des Films schwingen die Stones ihre Lichtgitarren und fegen mit ihrem großartigen Gragensound das Böse mit Leichtigkeit hinweg. Das Ganze wird von Scorcese mit überlegener und perfekter Kameraführung inszeniert. Close-Ups zeigen die Gesichter von Mick Jagger (119 Jahre), Keith Richards (119), Ron Wood (115) und Charlie Watts (121) so tief zerfurcht wie Mondlandschaften. In ihren Falten voller Leben und Exzess spiegeln sich die Unendlichkeit des Universums und der Wunsch nach Unsterblichkeit. Und das ewige Leben ist offenbar nicht nur ein Traum.

„Ride like the wind at double speed
I'll take you places that you've never, never seen
Start it up
Love the day when we will never stop, never stop
Never stop, never stop
Tough me up
Never stop, never stop, never stop“

Im Vergleich zum Autor sieht Keith ja noch jung und frisch aus - läßt das Schreiben einen Menschen so altern? Oder ist es doch die an anderer Stelle erwähnte Festivalverpflegung? ;-)

Ich hoffe nur, dass der Film nicht synchronisiert wird, wenn er für die Nicht-Berliner in die Kinos kommt!

Viel Spaß weiterhin!

It's only Rock'n'Roll...

Kommentiere den Film oder den Eintrag

Titel

Orignaltitel

Shine A Light

Credits

Regisseur

Martin Scorsese

Schauspieler

Rolling Stones

Land

Flagge Vereinigte StaatenVereinigte Staaten

Jahr

2008

Related

Martin Scorsese (Regisseur)

BERLINALE 2010

Shutter Island (Regisseur)

BERLINALE 2012

Side by Side (Schauspieler)

Impressum