CROSSING EUROPE LINZ: 20.000 ESPECIES DE ABEJAS (20.000 SPECIES OF BEES) von Estibaliz Urresola Solaguren

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© Gariza Films, Inicia Films

Das Kind möchte nicht mehr mit seinem Namen angeredet werden – „Aituro“ fühlt sich einfach falsch an, ebenso wie bestimmte Kleidungsstücke oder der Kurzhaarschnitt, den die Großmutter dem Kind am liebsten verpassen möchte. Der Name „Cocó“ ist für eine Weile eine Übergangslösung. In Gesprächen mit der Mutter kann Cocó nur zögerlich artikulieren, was ihn (oder sie?) beschäftigt.

Stattdessen erkundet Cocó sich und seine Umgebung, wie sich ein achtjähriges Kind typischerweise die Welt erschließt: über kindliche Fantasie und Rollenspiele, über Geschichten von Meerjungfrauen und Heiligen, und in Gesprächen mit der Großtante, einer Imkerin, über die vielen verschiedenen Arten von Bienen, die in einem Bienenstock leben.Tastend und sensibel nähert sich die Regisseurin Estibaliz Urresola Solaguren mit ihrem grandiosen Wettbewerbsbeitrag 20.000 ESPECIES DE ABEJAS dem Thema der geschlechtlichen Identität von Kindern an.

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Cocó, die Mutter und die beiden älteren Geschwister machen sich zu Beginn des Films vom französischen Baskenland auf über die Grenze nach Spanien, in das Heimatdorf der Mutter. Dort steht eine große Familienfeier an – die Taufe eines kleinen Cousins. In dieser ländlichen Umgebung spitzt sich die Suche des Kindes nach der eigenen Identität zu. Parallel ist auch die Mutter damit beschäftigt herauszufinden, wie es in ihrem Leben weitergehen soll. Soll sie noch einmal an ihre Unizeit als bildende Künstlerin anknüpfen? Sich auf eine Stelle als Kunstdozentin bewerben? In der Metallwerkstatt des verstorbenen Vaters versucht sie, dafür eine neue Skulptur zu fertigen.

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Der Film verwebt diese beiden Erzählstränge gekonnt. Die Versuche der Mutter, sich ihrem Kind anzunähern und es zu verstehen, stoßen immer wieder auf Widerstand. Von Seiten der Familie („Du verwöhnst das Kind!“) und von Seiten Cocós. Die Mutter muss erkennen, dass sie selbst nicht so unvoreingenommen auf Cocós Dilemma schaut, wie sie es sich selbst einredet. Dass sie gewisse Vorstellungen und Zwänge weiterlebt, die ihr von der eigenen Mutter vorgelebt wurden. Und so ist es für sie, die Erwachsene, eine doppelte Herausforderung: ihrem Kind gerecht werden und sich selbst gegenüber ebenfalls ehrlich sein.

Letztlich finden die Kinder im Spiel miteinander den richtigen Weg. Cocó knüpft neue Freundschaften, tummelt sich in der Natur, hört und erzählt Geschichten, erfährt Dinge über Bienen, die ihr helfen, ihre eigenes Selbst zu definieren.

Die sensationelle Kinder-Darstellerin Sofia Otero ist eine große Entdeckung dieser Berlinale. Aber auch Patricia López ist grandios als an sich zweifelnde Mutter, die großen Mut, viel Beharrlichkeit und Zuneigung aufbringt, um ihrem Kind – und sich selbst – zu helfen. Das Ensemble insgesamt spielt wunderbar zusammen und ist bis in die Nebenrollen stimmig besetzt.

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Der Film bringt ein schwieriges Thema mit viel Sensibilität aber auch Sensualität auf die Leinwand. Die Perspektive der Kinder wird ernst genommen und glaubwürdig dargestellt. Und es ist ein sehr ehrlicher Film, der zeigt, wie tief die Ablehnung von allem, was wir über Generationen hinweg als „unnormal“ vermittelt bekommen haben, in jedem einzelnen Menschen verwurzelt ist. Und wieviel radikale Ehrlichkeit und Mut es erfordert, klar zu sehen und den richtigen Weg zu finden.


Fotos: Gariza Films, Inicia Films

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Titel

Orignaltitel

20.000 especies de abejas

Englischer Titel

20,000 Species of Bees

Credits

Regisseur

Estibaliz Urresola Solaguren

Schauspieler

Sara Cózar

Ane Gabarain

Itziar Lazkano

Patricia López Arnaiz

Sofía Otero

Martxelo Rubio

Jahr

2023

Dauer

125 min.

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