Berlinale 2023: LIMBO von Ivan Sen

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Der weiße Cop Travis Hurley soll den Fall einer vor 20 Jahren ermordeten jungen Aboriginal-Frau wieder aufnehmen. Offenbar hat die Polizei damals ordentlich geschlampt und vertuscht. Als Travis in der Outback-Kleinstadt Limbo eintrifft, stoßen seine Fragen auf allen Seiten zunächst auf Ablehnung – bei der Familie des Mädchens genauso wie beim Bruder eines inzwischen verstorbenen weißen Verdächtigen. Regisseur Ivan Sen, selbst Aboriginal, inszeniert das Drama wie einen klassischen Western Noir – in Schwarzweiß-Bildern, mit grandiosen Landschaftsaufnahmen und einem einsamen, kaputten Protagonisten, der in der eigenen Vorhölle lebt – ebenso wie fast alle anderen in dem Film, Weiße und Schwarze.

Bis zum Hals tätowiert, heroinabhängig und mit einem verpfuschten Privatleben im Gepäck: Travis ist ein klassischer einsamer Wolf – aber mit Empathie. Simon Baker gibt seiner Figur mit reduzierten schauspielerischen Mitteln maximale Wirkung. Allein, wie er sich jeden Morgen aus dem Bett in seinem albtraumhaften Höhlen-Motel schleppt, oder skeptisch und abwartend den Leuten in der Stadt gegenübertritt: Diese Figur fesselt einen vom ersten Augenblick an. Mit bewundernswerter Zähigkeit macht Travis sich daran, die Mauer des Schweigens zu durchbrechen und das Vertrauen der Familie des Opfers zu gewinnen. Vielleicht, weil er selbst persönlich komplett gestrandet ist, bringt er das nötige Rüstzeug mit, um klarsichtig durch die Vorhölle der anderen zu navigieren. Nachdem sein eigenes Auto aufgebrochen wurde, muss er auf einen alten schwarzen Vintage-Dodge vom Schrotthändler umsteigen – und fügt sich damit perfekt in seine Umgebung ein.

Da es Travis offensichtlich ein echtes Anliegen ist, die Wahrheit herauszufinden, und weil er der schwarzen Familie zwar extrem ruppig, aber mit Respekt begegnet, beginnen der Bruder und die Schwester des ermordeten Mädchens zögerlich, mit ihm zusammen zu arbeiten. Der Bruder wurde einst selbst als tatverdächtig eingestuft, und ist mittlerweile dem Suff erlegen. Seine beiden Kinder leben bei der Schwester, die mühsam versucht, die Dinge am Laufen zu halten.

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Rob Collins als Bruder und Natasha Wanganeen als Schwester hinterlassen in diesem Hauptfiguren-Trio einen starken Eindruck: Ohne viel Worte bringen sie die tief verwurzelte Skepsis und Verzweiflung, aber auch die aufkeimende Hoffnung ihrer Figuren rüber.

Eine Art Hauptrolle spielt auch die Landschaft. Für die First Nations ist sie ein wichtiger Teil ihrer Identität: Doch in Limbo ist der Boden vernarbt von Löchern, in denen nach Opalen gegraben wurde. Die Schönheit der Natur wird kontrastiert mit Bildern ihrer Zerstörung. Um sich ein karges Einkommen zu sichern, graben die ärmeren Schwarzen in der Stadt in den verlassenen Löchern und Stollen nach übrig gebliebenen, minderwertigen Resten der Steine. Die meisten der Aboriginals in dem Ort haben kaum eine Chance auf ein Leben jenseits von Alkohol, Kriminalität und Verzweiflung. Der Rassismus ist allgegenwärtig.

LIMBO verknüpft die gesellschaftliche Misere gekonnt mit einem spannenden Plot. An der einen oder anderen Stelle agiert der Film vielleicht etwas zu didaktisch. Vieles erschließt sich, ohne, dass es nochmal explizit ausgesprochen werden müsste. Aber nichtsdestotrotz ist LIMBO ein gelungener Genrefilm mit einem klaren Blick auf ein eklatantes Problem der australischen Gesellschaft.

Fotos: Bunya Production

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Titel

Orignaltitel

Limbo

Credits

Regisseur

Ivan Sen

Schauspieler

Simon Baker

Mark Coe

Rob Collins

Nicholas Hope

Natasha Wanganeen

Joshua Warrior

Jahr

2023

Dauer

108 min.

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