BERLIN ALEXANDERPLATZ von Burhan Qurbani (Berlinale 2020)

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Kann das gut gehen? Alfred Döblins Klassiker aus der Weimarer Republik „Berlin Alexanderplatz“ als Film ins heutige Berlin zu transferieren? Aus dem Zuchthäusler Franz Biberkopf den geflüchteten Westafrikaner Francis machen? Nach gut drei Stunden BERLIN ALEXANDERPLATZ kann ich sagen: Ja, das geht sogar sehr gut. Vorausgesetzt, man akzeptiert die bewusst als griechische Tragödie angelegte Form, den tragenden Ton des Kommentars aus dem Off, nimmt das dreimalige Scheitern der Hauptfigur als zwingend hin, weil er als tragischer Held nun mal leiden muss und nochmal leiden und nochmal leiden. Wenn man sich darauf einlassen kann, dann ist Burhan Qurbanis Film der bislang kraftvollste, wuchtigste und mutigste Beitrag in diesem Wettbewerb. Ein klarer Bären-Favorit.

In fünf Teilen erzählt, folgt BERLIN ALEXANDERPLATZ auch in der Struktur dem Vorbild der klassischen Tragödie. Wir sehen den großen, kräftigen, dunkelhäutigen Francis, wie er beim Kentern des Flüchtlingsbootes seine Geliebte verliert und schließlich als einer der vielen Papierlosen in Berlin strandet. Weil er nicht ganz unschuldig ist am Tod der Frau, schwört er sich, von nun an „gut zu sein“. So, wie Franz Biberkopf, als er aus dem Gefängnis entlassen wird. Francis will lieber illegal auf einer Baustelle schuften und sich schikanieren lassen, statt Drogen in der Hasenheide zu verticken. Aber genau wie bei Biberkopf will es auch bei Francis die Welt einfach nicht, dass er auf dem Weg des Guten bleibt. Über kurz oder lang wird er zum Dealer, wegen seiner Cleverness geschätzt. Bald wird er zur Belohnung vom Francis zum „Franz“. Sein vorgeblicher Freund Reinhold, ein emotional schwer gestörter Sadist, beobachtet ihn jedoch argwöhnisch. Und der nächste Schicksalsschlag folgt prompt – und lässt Francis einarmig zurück. Es wird später noch einen weiteren Schlag geben, den Schlimmsten.

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Welket Bungué spielt diesen Francis/Franz als stolzen und verzweifelten Mann, der den ganzen Film hindurch darum kämpft, gut zu bleiben oder es zumindest zu werden. Mit präzise und gut dosiert eingesetzten schauspielerischen Mitteln hält Bungué uns als Zuschauer bei der Stange. Der dämonische Reinhold (Albrecht Schuch) gibt einen widerlich-furchteinflößenden Gegenpart, Jella Haase als Francis' große Liebe Mieze bringt mit ihrem erfrischend natürlichen Spiel ein wenig Leichtigkeit in dieses streng durchkomponierte Stück. Und Joachim Król zeigt, dass er auch einen bedrohlichen, in die Jahre gekommenen Gangster spielen kann.

Der Film setzt bewusst theatralische Elemente ein, die Musik untermalt die Stimmungen und Bedrohungen, die Schauplätze haben oft etwas Unwirkliches: So sieht die unterirdische Baustelle, auf der Francis zunächst arbeitet, aus wie der Eingang zum Hades; der Club, in dem er sich vergnügt, gleicht während einer Kostümparty den Glitzer-Etablissements aus den 1920er Jahren der Stadt. Dagegen hat die verlotterte Wohnung Reinholds so gar nichts Künstliches – hier fängt die Haut allein beim Hinschauen schon an zu jucken. Und die Dealerszenen auf der Hasenheide sind auch so ziemlich aus dem Leben gegriffen. Dieser Wechsel zwischen Lebensnähe und Künstlichkeit macht das Spannungsfeld des Films aus und tut ihm gut – denn hier wird klar erkennbar eine Parabel erzählt, die aber nichtsdestotrotz tief in der Wirklichkeit und Wahrhaftigkeit der aktuellen Abgründe unserer Gesellschaft verwurzelt ist.

Fotos: © Wolfgang Ennenbach/2019 Sommerhaus/eOne Germany

Kommentare ( 1 )

Das waren sehr beeindruckende 3 Stunden Film. Wirklich fesselnd von Anfang bis Ende ohne Hänger - und das bei einem Beginn morgens um 8:15 Uhr. Goldener/Regie/Drehbuch/Bester Darsteller? Da ist einiges an Bären möglich. Welket Bungué und Albrecht Schuch fand ich beide großartig. Sehr stark war auch das Szenenbild von Silke Buhr.

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Titel

Orignaltitel

Berlin Alexanderplatz

Credits

Regisseur

Burhan Qurbani

Schauspieler

Welket Bungué

Richard Fouofié Djimeli

Jella Haase

Joachim Król

Annabelle Mandeng

Albrecht Schuch

Nils Verkooijen

Land

Flagge DeutschlandDeutschland

Flagge NiederlandeNiederlande

Jahr

2020

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