Berlinale 2015: DIARY OF A CHAMBERMAID von Benoit Jacquot

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Benoit Jacquot ist eigentlich sehr gut darin, Kostümfilme gegen den Strich zu bürsten: Im besten Fall gewinnen wir dadurch einen ungewöhnlichen Blick auf eine Epoche, die uns durch unzählige Kostümschinken bereits allzu vertraut erschien. Dies gelang ihm etwa, trotz aller Schwächen, mit FAREWELL MY QUEEN (Berlinale 2012). In DIARY OF A CHAMBERMAID erliegt er jedoch selbst den Klischees, die herauszufordern er sich – hoffentlich – zum Ziel gesetzt hatte. Die Bediensteten im Frankreich der vorigen Jahrhundertwende sind entweder treu ergeben oder aufmüpfig, die Dienstherren lüstern, die Madames bösartig oder aber herzensgut. Dazwischen wird bedient, gevögelt, abgetrieben und ein bisschen gemordet, und am Schluss sind wir so schlau wie schon zuvor.

Jacquot ist nach Jean Renoir und Luis Bunuel der dritte Regisseur, der den beliebten Roman von Octave Mirbeau verfilmt. Ganz augenscheinlich ist er ganz vernarrt in seine Hauptdarstellerin Lea Seydoux, was man ihm nicht verdenken möchte. Aber la Seydoux abwechselnd hochmütig, verschlagen, hasserfüllt oder verzweifelt aus ihren schönen Augen in die Kamera blicken zu lassen, macht noch keinen guten Film. Und auch Vincent Lindon als grobschlächtiger aber äußerst viriler Kutscher, der sich später als wüster Antisemit und vielleicht sogar Kindsmörder entpuppt, kann sich kaum aus dem starren und klischierten Rahmen befreien, der seiner Figur vorgegeben ist. Die übrigen Charaktere, Diener wie Herren, sind durchweg gut gespielt, aber man meint, ihnen allen schon viele Male in unzähligen Filmen bei dem zugeschaut zu haben, was sie eben so machen.

Dabei zeigt der Film in vielen bösartigen kleinen Vignetten, wie sehr das System der Bourgousie darauf angelegt ist, der Dienerschaft Individualität und Würde auszutreiben: Hat die Kammerzofe bei ihrer Ankunft ein zu schickes Kleid an, wird sie umgehend aufgefordert, dieses abzulegen. Bei der Arbeitsvermittlung sind demütige, dienstbare Geister gefragt, die sich bei aller moralischen Scheinheiligkeit nicht dagegen sträuben, den sexuellen Avancen ihrer Dienstherren willig entgegenzukommen. Wer sich hier verweigert, gilt als aufmüpfig und schwer vermittelbar. Das alles ist gut beobachtet, aber so holzschnittartig vorgeführt, dass es fast, aber eben leider nur fast, einer Parodie gleicht.

Der Alltag des Dienstmädchens ist hektisch, in zahlreichen Rückblenden wird erzählt, was ihr früher schon alles widerfahren ist. Freilich geht das Wesen und der Wille der Hauptperson, was sie umtreibt, wonach sie sich sehnt, unter all diesem Gewese fast unter. Zwar sind wir ihr permanent auf den Versen, wenn sie treppauf, treppab rennt, um der eifersüchtigen Madame, die hektisch mit dem schrillen Glöckchen läutet, nacheinander Nadel, Faden und Schere aus dem oberen Stockwerk zu holen, oder wenn sie sich halb herausfordernd, halb schüchtern, dem wilden Kutscher nähert – aber nie sind wir ihr so nahe, dass es uns wirklich berührt, was sie fühlt. Dafür ist sie zu sehr ein Abziehbild ihrer selbst.

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Titel

Orignaltitel

Journal d'une femme de chambre

Englischer Titel

Diary of a Chambermaid

Credits

Regisseur

Benoït Jacquot

Schauspieler

Vincent Lindon

Clotilde Mollet

Hervé Pierre

Léa Seydoux

Land

Flagge BelgienBelgien

Flagge FrankreichFrankreich

Jahr

2015

Dauer

96 min.

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