"Storm" von Hans-Christian Schmidt


Es gibt keine Gerechtigkeit - nur Menschen


Höre ich „Serbien“, denke ich an breitschultrige untersetzte Männer mit schwarzen Lederjacken oder Uniformen und immer wieder neu entdeckte Massengräber. Im Studium waren Seminare zu Jugoslawien perfekt geeignet über zerfallende Staaten, postkommunistisches „nation building“ und sowie Krieg und Nachkriegsbewältigung zu forschen. Storm von Hans-Christian Schmidt ist aber kein Klischee und kein politologisches Seminar; es ist ein sehr gelungener Spielfilm. Und der handelt von all diesen Dingen - und von noch viel mehr: von Schuld und Sühne und den Schicksalen einzelner Menschen. Er handelt von der großen Schwierigkeit, seine Integrität zu bewahren - beruflich als Politiker oder Jurist und ganz persönlich als mitfühlender Mensch.

Vor dem Hintergrund einer gut geölten Justizmaschine, den darin nach Erfolg und Anerkennung strebenden Figuren rund um den Prozess gegen einen serbischen Kriegsverbrecher, zeigen sich Leben und Menschen und Gefühle hinter den Funktionen, die sich Zeuge, Richter, Staatsanwalt, Verteidiger und Angeklagter nennen. Menschen stürmen das Leben eines anderen und verändern es für immer.

Bald wird klar, nicht nur die Opfer des Krieges und der Gewalt sind beschädigt in Psyche und Seele, sondern auch die Juristen und Politiker, ja selbst die Betreuer und kleinen Helfer in der großen Maschine „Recht und Politik“ sind alle auf ihre Weise beschädigt von den Dingen, die an diesem Tribunal verhandelt werden und der Art wie dort juristisch menschliche Abgründe aufgearbeitet werden sollen.
Einige Beschädigte retten sich in Zynismus, um das Grauen nicht an sich ran zu lassen. Andere denken an ihre Karriere und geben sich pragmatisch. Und wieder andere versuchen ein normales Leben zu führen - was nicht gelingt.
Die beiden Hauptfiguren sind Frauen, aber das System der internationalen Justiz ist wie der Krieg und die Politik noch immer eine Welt der Männer. Auch das wird im Film dezent angedeutet. Es sind am Ende aber die Frauen, die wirklich mutig sind, wenn es drauf ankommt. Sie verleugnen nicht ihr Gewissen und ihre Gefühle - auch wenn dan Erfolg und Karriere auf dem Spiel stehen. Storm ist ein Gerichtsfilm, der nicht dem Genre typisch mit einem großen Schlußplädoyer endet, das alle Zweifel beseitigt und dem Guten zum Sieg verhilft.
Storm macht uns schmerzlich klar. Bei allem Idealismus für die Menschenrechte und guten Willen so eines Tribunals: Gerechtigkeit gibt es so gut wie nie für das Opfer, weil das eine viel zu individuelle Sache ist.

Eine Befriedigung, ein Ende der Qual, an der die Opfer lebenslänglich leiden ist angesichts der Monstrosität der Verbrechen nicht möglich. Nicht durch einen Justizapparat. Staat und Justiz versuchen den berechtigten Wunsch nach Gerechtigkeit so gut es geht zu institutionalisieren durch Gesetze und Verfahrensregeln - was dabei herauskommt, ist angesichts des erlittenen Schmerzes und der individuellen Art des Umgangs mit Leid eben eine weitere Ungerechtigkeit. Recht mündet selten in empfundene Gerechtigkeit. Aber man muss es eben versuchen.

Und doch findet der Film von Hans-Christian Schmidt ein befriedigendes, ja fast hoffnungsvolles Ende, wenn die beiden Frauen sich nach dem Prozess am Strand von Scheveningen begegnen. Storm ist bis zu letzt packend und spannend, ein Thriller, ein Drama und dazu ein kleines Manifest, das Tribunal in Den Haag nicht 2010 zu schließen, wie von der UNO beabsichtigt. Man kann keinen Schlussstrich ziehen, die Greueltaten juristisch aufzuarbeiten, weil das Geld ausgeht oder es inzwischen eine andere poltische Agenda gibt.

Jury Präsidentin Tilda Swinton will politische und zugleich bewegende Filme ehren - da haben wir hier ganz klar einen Kandidaten.

Kommentare ( 2 )

war für mich bisher einer der besten filme im wettbewerb. stimmig, gut erzählt, stilistisch interessant und spannend. auch sehr mutig, die kriegsverbrechen, um die es hier geht, nicht in flashbacks auszuschlachten, sondern die fatalen auswirkungen ganz allein über die figuren der beiden geschwister, die als zeugen auftreten, zu vermitteln.

Grandios! Für mich einer der besten politischen Filme, die ich seit langem gesehen habe.
Es gelingt dem Film den in Nachkriegsgesellschaften so schwer lösbaren Konflikt zwischen Vergangenheitsbewältigung und Zukunftsgestaltung auf eine Ebene herunterzubrechen, die es mir ermöglicht hat, diesen Konflikt und seine Auswirkungen auf einzelne und unterschiedlichst betroffene Menschen emotional nachfühlen zu können.
Der Film zwingt einen auch dazu, sich selbst zu entscheiden, auf welcher Seite man in diesem Konflikt eigentlich stehen möchte. Es gibt keinen erhobenen Zeigefinger. Die Befürworter einer vollständigen und lückenlosen Aufarbeitung von den schrecklichen Kriegsverbrechen sowie diejenigen, die versuchen müssen, einer Nachkriegsgesellschaft in Bosnien eine Zukunftsperspektive zu geben, haben alle gute Argumente. Keine eindeutige und vereinfachende Zuordnung "good guy" und "bad guy", wie es in Mainstream-Filmen mit ähnlichem Thema leider so oft passiert. Man kann auch für beide Positionen Verständnis entwickeln, selbst wenn ich mir am Ende eher eine vollständige und lückenlose Aufarbeitung gewünscht habe anstatt den Kompromiss, der dann zwischen diesen beiden Positionen irgendwie ausgehandelt wird bzw. durch den Mut einzelner erzwungen wird. Aber gerade dieser Kompromiss macht den Film nicht nur glaubwürdig, sondern stimmt am Ende zumindest ein wenig hoffnungsfroh. Wenn die UN und die EU aus fehlendem politischen Willen oder anderer politischer Intererssen schon keine Gerechtigkeit schaffen können und wollen, dann wenigstens engagierte und mutige Individuen in diesen Institutionen sowie die betroffenen Menschen.
Was für ein Kinoerlebnis!

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Titel

Orignaltitel

Storm

Englischer Titel

Sturm

Credits

Regisseur

Hans-Christian Schmid

Schauspieler

Stephen Dillane

Kerry Fox

Rolf Lassgård

Anamaria Marinca

Land

Flagge DänemarkDänemark

Flagge DeutschlandDeutschland

Flagge NiederlandeNiederlande

Jahr

2009

Dauer

110 min.

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