"Distanz" von Thomas Sieben

Ein bisschen komisch ist er ja schon. Aber erst mal nicht unsympathisch. Daniel arbeitet als Gärtner im Botanischen Garten in Berlin; er ist recht schweigsam und wird regelmäßig von seinem großmäuligen Kollegen provoziert – was aber einfach an ihm abzuperlen scheint. Eines Abends steht er dann aber mit einem kleinen Kieselstein in der Hand auf einer Autobahnbrücke. Er dreht und wendet den Stein zwischen den Fingern, und irgendwann lässt er ihn fallen.

Was relativ harmlos anfängt steigert sich im Laufe des Films zu einem sehr bedrohlichen Exzess: Unmotivierte, unangekündigte Ausbrüche von Gewalt, die mehreren Menschen das Leben kosten – vor allem, nachdem Daniel durch Zufall ein Jagdgewehr in die Hände bekommt. Das Ungewöhnliche dabei: Nichts, aber auch gar nichts wird erklärt. Regisseur Thomas Sieben verzichtet aufs Psychologisieren und auch auf den moralischen Zeigefinger. Er hält einfach die Kamera als stummen Zeugen auf ein Geschehen, das dadurch umso erschreckender wird. Auf eine Person, die man in ihren Abgründen wohl auch nicht erklären kann. Ein dummer Spruch geistert einem immer wieder durchs Hirn: Der Mörder ist immer der Gärtner.

Am Morgen nachdem Daniel einen großen Stein von der Autobahnbrücke geworfen hat sehen wir ihn beim Frühstück. Ungerührt beißt er in sein Brötchen während im Radio die Nachrichten berichten, dass der Fahrer und die Beifahrerin in dem getroffenen Auto bei dem Unfall, den sein Steinwurf ausgelöst hat, ums Leben gekommen sind. Ken Duken spielt Daniel auf sehr angenehme, zurückhaltende Weise. Als Zuschauer ist man ambivalent: Einerseits verabscheut man diesen Typen, der anscheinend keine Gründe braucht, um Menschen einfach über den Haufen zu schießen, zutiefst. Auf der anderen Seite ist Daniel so sichtbar hilflos, dass automatisch der Helferinstinkt in einem geweckt wird.

Dieser Helferinstinkt befällt wohl auch die von Franziska Weisz mit sehr reduzierten Mitteln auf die Leinwand gebrachte Frau in Daniels Leben. Im Umgang mit Frauen ist Daniel besonders zurückhaltend, fast scheu. Als eine Arbeitskollegin sich in ihn verliebt, muss sie einiges an Geduld und Spucke aufbringen, bis er sie überhaupt ein wenig an sie heran lässt. Doch schließlich finden die beiden doch zueinander und eine zarte Liebesgeschichte nimmt ihren Lauf. Daniels penibel ordentliche Wohnung wird durch die weibliche Hand ein wenig aufgehübscht, man fährt zusammen weg, turtelt, scheint glücklich zu sein. Doch Daniels Lust zu morden wird durch die Beziehung nicht ausgelöscht. Das Ende dieses nüchtern erzählten Films ist nicht wirklich überraschend – der Film selbst lässt einen aber auch Stunden später noch wieder nicht los.

Kommentare ( 2 )

sie braucht "geduld und spucke" - das ist mal eine passende und zugleich eigenartige erklärung, wenn man einen oder eine rumkriegen will :-)
klingt toll der film.

...da spricht die erfahrene veteranin;-)
ist wirklich toll, der film.

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Titel

Orignaltitel

Distanz

Englischer Titel

Distance

Credits

Regisseur

Thomas Sieben

Schauspieler

Ken Duken

Josef Heynert

Jan Uplegger

Franziska Weisz

Land

Flagge DeutschlandDeutschland

Jahr

2008

Dauer

84 min.

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