"Nachmittag" von Angela Schanelec (Forum)

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Frage 1
Wenn das, was man heute gerne als Berliner Schule bezeichnet, keine Ausnahme mehr ist sondern eine weit verbreitete Methode Filme zu erzählen, wie werden wir dann die Filme von Thomas Arslan, Christian Petzold und Angela Schanelec empfinden? Sind wir dann noch verblüfft und verzaubert?

Frage 2
Wenn der Regisseur des Films auch gleichzeitig einer der Hauptdarsteller ist, welche Fallen stellen sich?

Frage 3
Wie viel Tschechow kann einem deutschen Kinopublikum zugemutet werden?

Die letzte Frage zuerst: Die Schlange vor dem Kino ist lang. Natürlich gibt es Erwartungen. Angela Schanelecs "Mein langsames Leben" wurde 2001 vom Berlinale Publikum geliebt. "Mein langsames Leben" hat ein Lebensgefühl der Berliner Thirty-Somethings auf die Leinwand gebracht. Schanlecs letzter Film „Marseille“ wurde 2004 in Cannes positiv aufgenommen. Vor der Vorstellung waren im Kinosaal daher kaum noch Plätze frei. Nach der Vorstellung dafür ein paar mehr. Es erfordert Anstrengung, sich Schanelecs neuen Film anzuschaun (eine Anstrengung, der mein schnarchender asiatischer Sitznachbar nicht gewachsen ist). Schanelecs Film „Nachmittag“ basiert auf Anton Tschechow „Die Möwe“. Die Dialoge sind bedeutungsschwer. Geführt werden sie von einer intellektuellen Familie: die Mutter ist Schauspielerin, ihr Sohn Schriftsteller, der neue Liebhaber ebenso. Unter der Oberfläche der Nichtigkeiten, die sie sich sagen, verbirgt sich Frustration, Verletzung und Todessehnsucht. Auch die Bilder sind schwer. Die auf den Gesichtern verharrende Kamera, der distanzierte Blick verursachen keine Spannung sondern genau das, worunter die Hauptfiguren im Film leiden: Langeweile. Den Darstellern kann man das nicht vorwerfen. Sie spielen überzeugend. Auch Schanelec selbst.
Damit sind wir bei Frage 2. Die Verbindung von Regisseur und Hauptdarsteller in einer Person kann funktionieren. Bekanntestes Beispiel sind natürlich die Woody Allen Filme. Bei „Nachmittag“ kommen mir aber Zweifel. Angela Schanelec ist nicht nur in der Komposition der Bilder sondern auch im Spiel dominant. Vielleicht ist das zuviel Schanelec.
Berliner Schule.Vielleicht ist schon die Frage danach, ein Problem des Films. Erst dadurch, dass etwas nicht stimmt, ich das Gefühl habe, Tschechow fühlt sich nicht wohl an einem Sommernachtmittag an einem Berliner See, kommt mir die Frage nach dem Stil. Ich glaube, das eine Form zu erzählen auch nach vielen Jahren verzaubert, wenn sie so mit dem Filmstoff verschmilzt, dass man sie zunächst gar nicht entdeckt. Eine Lieblings-Szene habe ich dann doch. Der lebensmüde Ex-Mann und Ex-Verleger, wunderbar gespielt vom Theaterschauspieler Fritz Schediwy, erzählt wie er in die Stadt gefahren ist, um Eis zu essen. Sein Verlangen war so groß,dass er in seiner Fantasie das geschmolzene Vanille-Eis schon auf seiner Zunge spürte. Als er dann im Eiscafé sitzt, ist das Verlangen plötzlich nicht mehr da und er bestellt einen Kaffee. Das enttäuscht ihn.

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