Filmtour 2016: SEXARBEITERIN von Sobo Swobodnik

Eine etwas andere Dienstleisterin

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Foto: Partisan Filmverleih

SEXARBEITERIN heißt der neue Dokumentarfilm von Sobo Swobodnik. Im Mittelpunkt steht der Alltag von Lena Morgenroth. Alltag heißt in ihrem Fall Sexarbeit als selbständige Unternehmerin in einem Berliner Studio, wo sie klassische Tantramassagen und „ziemlich ausgefallene Variationen erotischer Massagen“ – so ihre Webseite – anbietet. Dazu gehören auch Bondage und SM. Alltag heißt aber auch der Kampf mit der Steuererklärung, den Müll zum Glascontainer bringen und politische Lobbyarbeit für den Bundesverband „Erotische und sexuelle Dienstleistungen“ betreiben. SEXARBEITERIN ist ein Film der am Beispiel Lena Morgenroths einen realistischen Blick auf den Beruf der Prostituierten wirft. Der Film läuft aktuell in Berlin, Salzgitter, Ingolstadt und anderen deutschen Städte und geht von März bis Mai auf Kinotour durch Deutschland.

„Ich verkaufe eine Dienstleistung, nicht meinen Körper“, das ist ein zentraler Satz, den Lena Morgenroth über ihre Arbeit sagt. Der Satz ist besonders deswegen so interessant, weil dieser Unterschied in Diskussionen über Prostitution, aktuell zum Beispiel die über das geplante sogenannte „Prostituiertenschutzgesetz“, praktisch nie auftaucht. Zu ihrer Arbeit wird die Diplom-Informatikerin nicht gezwungen, sondern sie hat sie sich ausgesucht. Sobo Swobodnik geht nah mit der Kamera heran und zeigt, dass Sexarbeit eine körperliche Arbeit ist. Er zeigt aber genauso, dass diese Arbeit im Fall von Lena Morgenroth auch viel mit Empathie und Aufmerksamkeit zu tun hat: Sie ist die Dienstleisterin, die Männer und Frauen zum Orgasmus bringt oder auch nur umarmt und hält. Auch dann ist die Kamera dabei, wobei die schwarz-weiß Bilder und die langen ruhigen Einstellungen dafür sorgen, dass der Film eben nicht voyeuristische Bedürfnisse der Zuschauer befriedigt, sondern sich auf die Verbindung zwischen der Sexarbeiterin und ihren Kunden konzentriert.

Auch in der Diskussion nach der Filmvorführung betont Lena Morgenroth ihr professionelles Verständnis: Kundenbedürfnisse stehen im Vordergrund und ihr selbst sei es wichtig, authentisch zu sein und mit ihrem Gegenüber auf Augenhöhe zu agieren. Sexarbeit, so wie sie Lena Morgenroth ausübt, ist eine persönliche Dienstleistung, die mit der eines Therapeuten, eines Altenpflegers oder eines Unternehmensberaters zu vergleichen ist. Dazu gehört auch, wie akribisch die Protagonistin ihre Kundendatei pflegt: „Vorsicht, spritzt weit. Rechtzeitig Gesicht in Sicherheit bringen“ oder Vermerke über Herzschrittmacher und besondere Vorlieben.

SEXARBEITERIN verschweigt auch negative Aspekte nicht: Manche Kunden – für Lena Morgenroth sind sie Gäste – halten sich nicht an Vereinbarungen. Dann sei es anstrengend, Grenzen zum Beispiel für Berührungen zu setzen. Klar ist, dass sie die Grenzen setzt und darüber entscheidet, wem sie ihre Dienstleistung zu Verfügung stellt und wem nicht. Dass die Arbeitsbedingungen nicht für alle Prostituierten so gut sind wie für Lena Morgenroth, machten Sie und einige ihrer Kolleginnen auch in der Diskussionsrunde deutlich.

Der Film SEXARBEITERIN bietet aber gerade die Chance, über das Thema Prostitution und über Arbeitsbedingungen von Frauen und Männern in diesem Beruf auf der Basis von Fakten zu diskutieren. Das dass in Deutschland eher nicht geschieht, war im Film übrigens auch zu sehen. Als Alice Schwarzer 2013 ihr Buch vorstellte, dessen Titel „Prostitution – ein deutscher Skandal“ bereits die ideologisch verbohrte Kampfschrift signalisierte, demonstrierten Lena Morgenroth und andere Sexarbeiter gegen die einseitige Darstellung. Auf Video ist zu sehen, wie Alice Schwarzer auf abweichende Meinungen reagierte. Die Polizei drängte die Demonstranten aus dem Saal und stellte ihre Personalien fest. SEXARBEITERIN ist nicht nur ein interessantes und sehr persönliches Portrait, sondern auch ein in vieler Hinsicht aufklärerischer Film. Wie hat ein Philosoph aus Königsberg vor gut 230 Jahren so schön geschrieben: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.“

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