Ein Mann hat sich an einem Baum erhängt. Als die Spurensicherung ihn bereits von allen Seiten fotografiert und vom Ast geschnitten hat, rollt er sich auf einmal zur Seite und spaziert seelenruhig aus dem Bild. Wie bitte? So frech, wie die polnische Regisseurin Malgorzata Szumowska in den ersten fünf Minuten mit unserer Wahrnehmung und Erwartungshaltung spielt, wird sie auch die kommenden 85 Minuten von BODY damit fortfahren. Um es gleich vorweg zu nehmen: Es sind großartige 90 Minuten! Selten ist ein im Grunde so tragisches Thema wie der Verlust eines geliebten Menschen und die damit einhergehende Einsamkeit der Zurückgebliebenen auf so ungewöhnliche, skurrile und doch zutiefst menschliche Weise im Film gezeigt worden.
Der Untersuchungsrichter lebt mit seiner Teenager-Tochter in einem recht tristen Hochhaus in Warschau. Vor Jahren haben die beiden Mutter und Ehefrau verloren. Wie das genau geschah, wird nicht geklärt – und das muss auch gar nicht sein. Beide sind auf ihre Art traumatisiert. Der Vater trinkt, die Tochter frisst sich regelmäßig voll, um dann gleich wieder alles zu erbrechen. Aneinander finden sie keinen Halt. Während wir dem Untersuchungsrichter an mehrere grausige Tatorte folgen, an denen er stoisch seinen Beruf ausübt, lernen wir parallel die Therapeutin Anna kennen: Trutschig, mit tantenhaften Kleidern und einer oberspießigen Brille ausgestattet, flößt sie essgestörten Mädchen mit recht ungewöhnlichen Methoden ein bisschen Stärke und Selbstvertrauen ein. Zugleich fungiert Anna als Medium zwischen den Lebenden und den Toten, die ihr Nachrichten an die lieben Verwandten übermitteln. Dass bei Anna auch irgendetwas nicht ganz rund läuft, wird spätestens dann klar, wenn man sie in trauter Zweisamkeit mit ihrer riesenhaften Dogge in der winzigen Wohnung erlebt.
Natürlich kreuzen sich die Wege der drei Protagonisten, und zwischen eventuellen Geistererscheinungen, Überschwemmung auf dem Friedhof, blutigen Kindsmorden und Schreitherapien findet tatsächlich so etwas wie Heilung statt – und zwar für alle Beteiligten. Wirklich groß ist der Film in den Momenten, in denen er uns in Szenen, die uns eigentlich betroffen machen müssten, dazu zwingt, das Absurde an der Situation zu sehen. Etwa, wenn der bereits ziemlich angeschickerte Untersuchungsrichter auf Annas Anweisung hin seiner verstorbenen Ehefrau Papier und Stift bereit legt, und sie mit einem gebrummelten, „Na, dann mach mal“ dazu auffordert, mit ihm in Kontakt zu treten. Oder wenn Anna eine Trance vortäuscht, um gleich darauf mit einem lauten „Buh!“ aus der Rolle zu fallen. Außerdem gibt es hier den lustigsten Striptease der gesamten Berlinale (behaupte ich jetzt einfach mal) zu sehen.
BODY ist ein Film, der ein großes Thema gelassen angeht, der mutig, komisch und außergewöhnlich ist – und auf eine ganz unaufdringliche Art auch ernst und weise. Für mich kommt er auf alle Fälle in die engere Bärenauswahl.
Kommentare ( 1 )
.. auch wenn ich nicht alle Wettbewerbsfilme schauen kann, der Zeit und der Möglichkeit wegen, ist dies ein wunderbarer großartiger Film. Überraschend witzig und doch zutiefst berührend, ein toller Film !!! Bisher der Beste der Berlinale !!1
Posted by Nadine | 11.02.15 09:06