"Sportsfreund Lötzsch" von Sandra Prechtel und Sascha Hilpert

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Aufzeichnungen eines Ausdelegierten

Das „achtung berlin“-Festival zeigt wie die vergangene Berlinale, dass die Realität oft spannender ist als die Fiktion und dass Dokumentarfilme Geschichten erzählen, die man einem Spielfilm kaum glauben würde. „Sportsfreund Lötzsch“ von Sandra Prechtel und Sascha Hilpert zeigt das Menschenverachtende des real-existierenden Sozialismus. Der Radsportler Wolfgang Lötzsch wird wegen seiner ideologischen Unzuverlässigkeit trotz seiner überragenden Leistungen aus dem DDR-Leistungssportsystem „ausdelegiert“ und von der Stasi überwacht. Lötzsch kämpft als Einzelner gegen das System, so sagt er es selbst im Film. Prechtel und Hilbert lassen in ihrem Film nicht nur Freunde und Radfahrerkollegen zu Wort kommen, sondern auch den Major der Staatssicherheit Heinrich Engelhardt, der die Überwachungsoperation „Speiche“ koordiniert hat. „Sportsfreund Lötzsch“ fokussiert auf einen Mann, der nur Sportler sein wollte und zum Rebell gemacht wurde. Der Erkenntnisgewinn durch den Film über das Zusammenwirken von Politik und Stasi im unermüdlichen Kampf gegen die Freiheit des Einzelnen ist enorm.

Wolfgang Lötzsch, Jahrgang 1952, war ein begnadetes Radfahrertalent. Die Eltern unterstützen ihn von Anfang an, auch das Fördersystem der Kinder- und Jugendsportschulen in der DDR erkannte die Veranlagung und nahm ihn mit zwölf Jahren auf. Von da an gewann Lötzsch für den Sportclub Karl-Marx-Stadt alles, was es zu gewinnen gab. Für die Olympiamannschaft von 1972 war er ein unumstrittener Kandidat und wurde nominiert, allerdings weigerte er sich wie von den Funktionären verlangt in die SED einzutreten. Im März 1972 wurde der SC Karl-Marx-Stadt vom DDR-Turn- und Sportbund aufgefordert, Lötzsch aus dem Verein auszuschließen. Auch eine Intervention des Radtrainers Werner Marschner blieb vergeblich.

Im Film liest Marschner aus seinem Brief vor, in dem er eine Garantie für Lötzsch ausspricht – „sollte Wolfgang Lötzsch jemals zum Republikverräter werden, will ich mit der ganzen Härte wegen Beihilfe zum Verrat gerichtet werden“ – heißt es da. Wenn man diese Formulierungen hört, weiß man schlagartig, worum es geht. Es geht nicht um eine Nominierung, sondern um die sportliche Existenz von Lötzsch. Marschners Intervention bleibt vergeblich. Lötzsch ist jetzt ausgeschlossen aus dem Leistungssport. Er wird Mitglied der Betriebssportgruppe Wismut Karl-Marx-Stadt, trainiert allein und bekommt keinerlei Unterstützung. Für ihn gibt es weder Profiräder noch Wintertrainingslager im Ausland und natürlich keine Teilnahme an internationalen Rennen wie der Friedensfahrt. Dafür lässt ihm die Staatssicherheit eine Rund-um-Bewachung angedeihen.

50 IM und ein Radfahrer

Als Lötzsch seine Stasiakte einsieht, findet er sieben Aktenordner vor. 50 inoffizielle Mitarbeiter haben über ihn berichtet. Vor der Kamera erzählt der wortkarge Radfahrer davon meist ungerührt. Sein bester Freund habe das meiste Material geliefert. Wenn der das wenigstens nach der Wende etwas zugegeben hätte, so Lötzsch, hätte er noch gesagt „vergessen wir das“. Aber einfach darauf zu hoffen, dass die Akten rechtzeitig im Reißwolf gelandet seien? „Ich denke, sowas sollte man nicht verzeihen“, stellt er fest.

Das Talent von Lötzsch setzt sich allerdings auch trotz seiner Benachteiligung durch. Er wird 1973 und 1974 DDR-Bahnradmeister über 4.000 Meter, gewinnt 1974 den Klassiker „Rund um Berlin“ und zahlreiche weitere Rennen. Die Stasi sieht mit besonderem Misstrauen: Um Lötzsch entsteht eine Fangemeinde, die sogar zu den Rennen mitreist. Sein größter Triumph gelingt Lötzsch als er 1976 das Qualifikationsrennen für die olympischen Spiele in Montreal gegen die gesamte DDR-Radelite gewinnt. Nominiert wird er trotzdem nicht. Daraufhin stellt er einen Ausreiseantrag. Die Reaktion des Staates: Entzug der Fahrerlizenz und der Verlust des Studienplatzes. In Berlin nimmt Lötzsch Kontakt zur Ständigen Vertretung der BRD auf und trifft sich mit dem Journalisten Peter Pragal von der Süddeutschen Zeitung. Pragal berichtet im Filminterview: „Es war klar, dass mein Büro abgehört wurde. Aber er wollte mit seiner Geschichte an die Öffentlichkeit.“ Nach der Veröffentlichung in der SZ intensiviert die Stasi ihre Aktivitäten. Jetzt will der Inlandsgeheimdienst Lötzsch endgültig klarmachen, dass alle Hoffnungen auf eine Ausreise illusorisch sind. Lötzsch erhält einen gefälschten Brief mit einem Angebot aus dem Westen: Es gebe Interesse, ihn als Radfahrer in die Bundesrepublik zu holen. Lötzsch trifft sich mit einem Herrn Wegner in Berlin. Für 20.000 D-Mark könne man ihn mit einem gefälschten Pass in den Westen holen. 10.000 würden Wegners Geschäftspartner zahlen, den Rest müsse der Radfahrer selbst besorgen. „Das war’s dann natürlich“, erinnert Lötzsch sich, „woher sollte ich 10.000 D-Mark kriegen?“ Alle diese Maßnahmen bestätigt im Film der damalige Major des Staatssicherheit Heinz Engelhardt, der die Operation „Speiche“ leitete. Seine Auftritte sorgen für die spannendsten und ekelhaftesten Momente in dem Film. Ein schlechtes Gewissen liegt Engelhardt fern. Alles sei im Interesse der DDR geschehen. Lötzsch hätte seinen Weg ja nicht wählen müssen.


Eine Zukunft auf der anderen Seite der Mauer ist also verbaut. Doch der Dezember 1976 bringt eine persönliche Katastrophe: Lötzsch soll wegen angeblicher Ruhestörung bei einer Party fünf Mark Strafe zahlen. Er weigert sich und redet sich gegenüber dem Volkspolizisten in Rage, flucht über den „Scheißstaat“ und sagt, dass „Biermann Recht hat“. In der DDR reicht das für 10 Monate Haft wegen „staatsverleumdender Äußerungen“. Wenn Lötzsch im über seine Haft spricht, ist es mit seiner Beherrschung fast vorbei. Er sagt nur wenige Worte, aber man spürt, wie ihm die Ungerechtigkeit und das Verdammtsein zum Nichtstun zugesetzt haben. Nach der Haftentlassung arrangiert sich Lötzsch nach einiger Zeit mit den Behörden, tritt in die Partei ein und darf ab 1979 auch wieder Rennen fahren. 1983 gewinnt er zum zweiten Mal „Rund um Berlin“, 1985 unterbietet er zweimal die WM-Norm in 4000m-Einzelverfolgung. Lötzsch: „Ich hab mir gesagt, immer nur Konflikt kann es auch nicht sein. Mann will ja auch leben“. Major Engelhardt bemerkt dazu ohne jede Ironie: „Ich hatte Respekt davor, wie Lötzsch sich in der Haft fit gehalten hat“, außerdem habe man ihm nach der Haft geholfen „fast schon wie bei einer Therapie“.

Jeder nach seiner Fähigkeiten...

Lötzsch ist an der DDR verzweifelt, aber er hat nicht aufgegeben. Er sagt: „Ich dachte immer, es gilt ’Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Leistungen’.“ So steht es in Artikel 2, Absatz 3 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik von 1968 – die Realität war eine andere. Dieser Realität konnte auch der schnellste Radfahrer nicht entkommen. Immer noch fassungslos berichtet Lötzsch vom Mauerfall. Er sei mit dem Rad 120 Kilometer nach Hof gefahren, habe seine 100 D-Mark Begrüßungsgeld geholt und sei wieder zurückgefahren. „Die Mauer die mein Leben zerstört hat, war weg.“ Mit dem Radbundesligateam des RC Hannover wurde Wolfgang Lötzsch 1990 mit fast 40 Jahren Deutscher Meister mit dem 100km-Straßenvierer. Heute arbeitet er als Mechaniker für professionelle Radteams. Wenn man ihn auf der Leinwand sieht, wütend aber gefasst und immer noch mit unglaublicher Energie, freut man sich. Lötzsch hat sich geirrt: Das eiserne Dreieck aus Politik, DDR-Sportsystem und Stasi hat ihn verletzt, zerstört hat es ihn nicht.

Kommentare ( 2 )

Der Film ist ein muss - selbst wenn man kein Liebhaber von Radrennen o.ä. ist. Dieser Film spiegelt die absolute Sinnlosigkeit der gesamten DDR wieder. In der damaligen BRD wäre man für einen solchen Radsportler dankbar gewesen!

Wolfgang Lötzsch beugte sich nicht nur gegen das System auf er zeigte Mut, eisernen Willen und Durchhaltekraft was seines gleichen sucht.

Ich ziehe vor diesem Mann meinen Hut - er hat meinen Respekt und meine Annerkennung mein restliches Leben lang.

Wirklich ein guter, nachdenklicher, aber auch tieftrauriger Film. Respekt an Lötzsch – und mögen die die ihm die Karriere versaut haben, an ihrer speichelleckenden Obrigkeitshörigkeit versauern.

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