Fußvolk

Anders als die Herren und Damen mit Akkreditierung oder Gehbehinderung gehöre ich zu der Minderheit von Kinoenthusiasten, die sich ihre Berlinalekarten mit mühseligem Schlagestehen selber kaufen müssen. Das Bestellen im Internet kann man nämlich getrost vergessen (10 Uhr beginnt der Verkauf, 10:01 waren alle Filme bereits ausverkauft - wie toll ist das denn?) und das hat mir schon mein Kinoprogramm von heute und morgen versaut.
Also bin ich nicht verzagt heute mittag zum Kino International geradelt. Durchgefroren steige ich am roten Teppich ab, wo mich ca 200 meist jüngere Frauen anstarren. Promialarm. Na gut, ihr Interesse gilt nicht mir, aber vielleicht hab ich ja Glück und bekomme während des Wartens auf Karten einen Promi zu Gesicht...

Dachte ich, denn warten muss ich kaum: 4 Leute drängen sich vor der Filmliste (autsch, schon so viele Filme durchgestrichen), vor mir eine Frau am Schalter: "Gibts nicht auch nen neuen Film von Wim Wenders? Den würd ich gerne sehen." Mensch Mädchen, denke ich, der läuft erst nächste Woche.
Verdammt, alle Filme die mich interessieren, sind schon ausverkauft. Aber so ist da eben für für uns Nichtakkreditierte, die aus den gemütlichen Pressevorführungen verbannt sind. Wir schauen, was wir kriegen können. In meinem Fall unter Anderem: "3 Dias". Dessen Ankündigung hat mich null interessiert, aber die Zeit stimmt, das muss auch mal als Kriterium reichen. (Außerdem sind die Berlinale-Ankündigungen oft so grottenschlechte Texte, die brauchen dringend einen Korrekturleser) Während ich zahle tost draußen Jubel auf. Die Kassiererin lächelt und verrenkt den Hals: "Isser da?" "Wer denn", will ich wissen. "Na Shah Rukh Khan", sagt sie. "Ist doch Premiere heute." Was für ein Glück, ich zücke meine Kamera.
Draußen ergattere ich den letzten Platz am roten Teppich, der aber noch nicht einmal voll ausgerollt ist. Buntes Treiben um mich herum: Grün, orange, weiße Luftballons, Plakte, das geilste: "Germany/Europe welcomes Shah Rukh Khan" (so im Sinne: "where the fuck is Germany?"). Und immer wieder jubeln ein paar Mädels, wahrscheinlich im nicht aus der Übung zu kommen. Ich steh ein Weilchen rum, es wird halb fünf, mir wird kalt. Um mich herum wird gefachsimpelt: "Wo kummst du dann her?" "Marzahn und du?" "Hof, kennste das?" "Hab ich schon mal gehört." Handys klingeln mit indischen Melodien, der Platz wird langsam aber gemächlich voller, ich knipse ein paar Fotos, schließlich wird mir langweilig.
"Sag mal wann kommt der denn", frag ich eine der Umstehenden. "Na wahrscheinlich so gegen Acht, Halb neun." Meine Uhr zeigt kurz vor fünf. Ich packe meine Kamera ein und trete den geordneten Rückzug an. Mein Platz wird sofort eingenommen. Mein Gott, bin ich naiv....

Kommentare ( 2 )

naiv vielleicht :-), aber immer vor ort, da, wo's weh tut. ein echter Reporter!

marzahn/germany wartet drei stunden auf shah rukh khan, das nenn ich globalisierung.

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