Das Ende der Panzer-Republik

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“Eggesin möglicherweise“ von Olaf Winkler und Dirk Heth, Deutschland 2006

Früher, soll heißen im guten alten Kalten Krieg in DDR-Zeiten, war Eggesin ein „Mythos für die Verschwendung der Lebenszeit junger Männer“. Aber immerhin hatte der Ort in der Nähe von Ueckermünde ein paar Kilometer landeinwärts vom Stettiner Haff als Garnisonsstadt der Nationalen Volksarmee eine solide Existenzgrundlage: In den „besten Zeiten“ 27.000 Soldaten, eine Einwohnerzahl, die sich von 3.000 auf mehr als 9.000 verdreifachte und 2.000 Arbeitsplätze in der Industrie – die Eggesiner sprachen ironisch von der „ Autonomen Panzer-Republik“. 15 Jahre nach der Wiedervereinigung ist Eggesin kein Bundeswehrstandort mehr. Die unter der Kohlregierung noch modernisierte Artillerie-Kaserne und die Soldatenwohnungen stehen leer, 30 Prozent der Einwohner haben Eggesin bereits verlassen und der Wegzug von weiteren 3.000 Menschen wird erwartet. In dieser Situation haben Olaf Winkler und Dirk Heth eine „dokumentarische Filmerzählung“ gedreht: „Eggesin möglicherweise“.

Die beiden Filmemacher liefern einen Strom von Eindrücken, sie wollen „einfach nur den Fluss der Dinge beobachten, ohne gewaltsam einzugreifen“, wie es in einem Zitat des japanischen Kafka-Preisträgers Haruki Murakami heißt, dass sie ihrem filmischen Essay voranstellen. Dieser Strom von aus dem Off gesprochenen Briefauszügen des Drehbuchautors Winkler, Ausschnitten aus offiziellen und privaten Filmen aus der NVA-Zeit, Gesprächen mit Eggesiner Bürgern und Bildern von Abbrucharbeiten macht es dem Zuschauer nicht leicht, die Eindrücke einzuordnen.

Deutlich wird aber, wie die Eggesiner sich abmühen, um mit den radikalen Veränderungen ihrer Stadt fertig zu werden. Sie sitzen in Bürgerrunden mit Experten, die Düsteres verkünden und den Menschen eigentlich genau das sagen, was sie ohnehin schon wussten: „periphere Lage ... keine Industriecluster ... kein innovatives Element ... Mit dieser Wirtschaftsstruktur kann man es aus eigener Kraft nicht schaffen.“ Die Eggesiner tun etwas: Wenn der Arbeitsplatz verloren geht, engagieren sie sich ehrenamtlich oder sie greifen zur Eigeninitiative wie der ehemalige Offizier, der eine Kneipe übernimmt. Bürger und Kommunalpolitiker schaffen es immerhin ein Stadtentwicklungsprojekt auf die Beine zu stellen, das im Rahmen des Bundeswettbewerbs „Städtebau Ost“ die Silbermedaille gewinnt. Trotzdem sind die Verbesserungen marginal, die sie durch diese Anstrengungen erreichen, wenn man die desolate Gesamtlage betrachtet: Die Abwanderung lässt sich nicht stoppen. Beim Zuschauen hinterlassen die immer wieder auftauchenden Aussagen der Eggesiner – der Tanzlehrerin, der Dorfpoetin, des jungen Büchsenmachers oder des Kneipenwirts einen hilflosen und langsam resignierenden Eindruck. Die Filmerzählung fängt diese Stimmung ein.

Trotzdem bleibt ein zwiespältiger Eindruck. „Eggesin möglicherweise“ wirkt stilistisch überfrachtet. Es gibt ein Ungleichgewicht zwischen den Bildern und den Statements der Betroffenen einerseits und den ästhetischen Stilmitteln der zum Teil pathetischen Briefpassagen und der musikalischen Untermalung andererseits. Außerdem gibt es Verfremdungseffekte durch rückwärtslaufende Filmteile oder einen bewussten Gegensatz von Film- und Tonspur. Manchmal verliert man sich in diesem Bilder- und Tonstrom und würde gerne in längeren Passagen mehr von den Eggesinern selbst erfahren. So fehlt ein Spannungsbogen, um die Konzentration beim Zuschauer zu erhalten. Es ist eine interessante Idee, sich dem Problem des Strukturwandels mit essayistischen filmischen Mitteln zu nähern, aber „Eggesin möglicherweise“ hätte vom sparsameren Einsatz einer Ästhetisierung profitiert.

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