Emotionaler Börsencrash in Peking

Ping_Guo.jpg

„Ping Guo“ (Lost in Beijing) von Li Yu (Wettbewerb)

In Peking werden wie bekloppt Wolkenkratzer hochgezogen, während sich das einfache Fußvolk kalt berechnend durchs Leben wurschtelt. Geld regiert die Welt – auch in der Hauptstadt der Volksrepublik China. Der Turbokapitalismus durchdringt alle Lebensbereiche. Sex wird gekauft, der Wert eines Babies orientiert sich wie eine Aktie nach den Kriterien Geschlecht und Blutgruppe, und um die Spielregeln von Beziehungen werden nach harten Verhandlungen Verträge aufgesetzt. Dass die Rechnung trotzdem nicht aufgeht, zeigt der chinesische Wettbewerbsbeitrag „Ping Guo“ (Lost in Beijing) der Regisseurin Li Yu.

In der ersten Hälfte des Films geht es ziemlich zur Sache. Der Fensterputzer poppt mit seiner Frau, einer Fußmasseurin, unter der Dusche, weil er das mal so in einem Porno gesehen hat. Kurz darauf betrinkt sich die Fußmasseurin bei einer Feier auf der Arbeit, räkelt sich dann lasziv auf einer Massageliege, der Boss kommt herein, denkt sich, warum zahlen, wenn ich’s auch umsonst haben kann, und vergewaltigt die Frau. Das wiederum muss der Fensterputzer mitansehen, der ganz zufällig (auweia Drehbuch!) just in jenem Moment das Fenster eben jener Fassade putzt. Er reagiert sich ab, indem er erst auf den Boss losgeht und dann zuhause seine Frau gleich noch mal vergewaltigt. Danach hat man erst mal genug.

Zum Glück wird der Film weitaus interessanter, nachdem er von der Sex- in die Babyphase eintritt: Bald merkt die Fußmasseuse, dass sie schwanger ist. Der Fensterputzer beschließt, den Boss zu erpressen – und der bietet ihm stattdessen einen Deal an. Der Boss wünscht sich nämlich nichts sehnlicher als einen Stammhalter, und möchte das Kind kaufen – vorausgesetzt es ist ein Junge und vorausgesetzt er ist der Vater. Mit Hilfe von Kreidestrichmännchen erklärt er dem Fensterputzer die Grundkenntnisse der Blutgruppenvererbung und schon ist das Geschäft perfekt. Die jeweiligen Gattinnen werden nicht gefragt.

Nun folgen verständlicherweise einige emotionale Verwerfungen, mit denen alle Beteiligten nach dem Prinzip „wie hole ich das meiste für mich raus“ umgehen. Die Frau des Bosses schläft mit dem Fensterputzer und setzt nebenbei einen Ehevertrag auf. Der Boss ist bereits während der Schwangerschaft davon überzeugt, dass er der Vater des Kindes ist (das selbstverständlich nur ein Junge sein kann), und entwickelt immer Besitz ergreifendere Beschützerinstinkte für die Frau, die seinen Sohn austragen soll. Die Masseuse ist den Aufmerksamkeiten nicht abgeneigt.

Das Kind wird geboren, die Blutgruppe ist soundso, der Fensterputzer startet einen Fälschungsversuch via Bestechung des Arztes, und wer vorher bei dem Mendelkurzlehrgang nicht aufgepasst hat, verliert genau hier den Überblick darüber, wer der eigentliche Vater ist. Jedenfalls kommt das Kind in die Wohnung vom Boss und die Masseuse richtet es sich dort mehr oder weniger gemütlich ein. Dann allerdings stürzt das komplizierte Beziehungsgebäude langsam in sich zusammen. Tauschwerte verfallen. Unterm Strich: Vier Verlierer, eine Papiertüte voller Geld und ein Baby.

Gesten des Mitgefühls sind selten in diesem Film, und so umso bedeutender, wenn sie denn geschehen. Eine Hand berührt eine andere Hand, jemand nimmt eine weinende Person in den Arm, einer Toten wird über das Gesicht gestreichelt. Ansonsten äußern sich die Gefühle der Personen in einsamer Verzweiflung.

Kommentiere den Film oder den Eintrag

Titel

Orignaltitel

Ping guo

Englischer Titel

Lost in Beijing

Credits

Regisseur

Li Yu

Schauspieler

Fan Bingbing

Elaine Jin

Tony Leung

Tong Da Wei

Land

Flagge ChinaChina

Jahr

2000

Related

Fan Bingbing (Schauspieler)

BERLINALE 2012

Mai-wei (Schauspieler)

Tony Leung (Schauspieler)

BERLINALE 2013

Yi dai zong shi (Schauspieler)

Impressum