Caterpillar von Koji Wakamatsu

Japan, Anfang der 40er Jahre. Eine junge Frau schreit: „Das ist nicht mein Mann! Das Ding da ist nicht mein Mann!“ „Das Ding“ ist ein junger Soldat, der als hoch dekorierter Veteran aus dem zweiten japanisch-chinesischen Krieg in sein kleines Dorf zurückkehrt – ohne Arme, ohne Beine, taub, sprachlos und mit von Brandwunden entstelltem Gesicht. Von der Ehefrau wird nun ganz selbstverständlich erwartet, dass sie sich aufopferungsvoll um den Kriegshelden kümmert und so die „Heimatfront“ stärkt. Nach dem ersten Schock stellt sich die Frau dieser Aufgabe dann auch.

Die Annäherung an den entstellten Mann, die Fütterung, die mühsame Verständigung zeigt Koji Wakamatsu in allen Details. Wenn sie verstehen will, was er sagt, muss sie Lippenlesen und seine gurgelnden Laute deuten. Wenn er gequält den Kopf hin und herwirft, muss sie erraten, dass er pinkeln muss und die Flasche holen. Wenn er mit den Zähnen an ihrem Stoffgürtel zerrt, will er Sex. Den will er ziemlich oft. Ansonsten beschränkt sich sein Leben auf essen, schlafen und ausscheiden. Er ist verzweifelt, hat aber keine Möglichkeit, sich mitzuteilen. Die Hölle, die er erlebt, bleibt in seinem Kopf. Fortbewegen kann er sich nur wie eine Raupe – auf englisch Caterpillar.

Ab und an drapiert die Frau ihrem Mann die Uniform über den Rumpf, setzt ihn in einen großen Korb und fährt ihn im Dorf spazieren – die Leute wollen den Versehrten, den sie per Staatsräson wie einen Kriegsgott zu verehren haben, auch hin und wieder mal sehen. Was für ein Bild für den Irrsinn des Krieges hat uns Wakamatsu hier beschert: Einen sprachlosen, entstellten Rumpf in Uniform. Der Mann hasst diese Ausflüge, aber wehren kann er sich nicht. Die Frau versteht sehr schnell, dass diese Zuschaustellungen eine ihrer wenigen Möglichkeiten ist, sich zu rächen.

Das alles ist quälend anzusehen, aber sehr ehrlich und eindrücklich dargestellt. Die Fassade der hingebungsvollen Aufopferung bröckelt schnell – wenn auch nur für die Zuschauer, nicht aber für die Menschen im Dorf sichtbar. Der Ehemann hat die Frau schon vor seiner Verletzung dominiert, geschlagen, missbraucht. Nun, da er eigentlich wehrlos ist, wirken die Kräfte der gesellschaftlichen Kontrolle, und die Frau ordnet sich ihm wieder unter. Allerdings ist sie zunehmend frustriert und angewidert, einige Mal schlägt sie ihn sogar und schreit ihm ins Gesicht, dass er sie nun nie wieder wird schlagen können. Eine wirkliche Befreiung ist das allerdings nicht.

Während dessen wird im Dorf die Kriegsmoral hoch gehalten, die Frauen machen Wehrübungen für die Heimatfront, man übt sich im „Banzai!“-Rufen, und nur der dicke, kindlich gebliebene Dorfnarr setzt sich unter dem Schutzschild der Unzurechnungsfähigkeit über das nationalistische Getue hinweg.

Wakamatsu ist ein radikaler Kriegsgegner, Ex-Yakuza und Pornoregisseur, der mit „Caterpillar“ einen radikalen Antikriegsfilm vorgelegt hat. Was der Krieg mit Menschen anstellt, ist ein Teil der Geschichte. Dass im Krieg Mechanismen angewendet werden, die auch im zivilen Leben üblich und fatal sind, ist der andere Teil. Die Brutalität des Ehemanns der Frau gegenüber wird durch Flashbacks gespiegelt, die den Soldaten während des Krieges als Vergewaltiger und Mörder chinesischer Frauen zeigt. Das mag vielleicht etwas überdeutlich sein, ist aber nun mal ebenfalls Teil der Geschichte.

Kommentare ( 1 )

Gebe dir in allem Recht, nur dass die pädagogische Attitüde, die Zwischentitel mit Kriegstoten, den Atombomben, der Invasion so wirken, als sei der Film 10 Jahre nach Kriegsende für eine noch immer uninformierte Öffentlichkeit in Japan gemacht, die sich ihrer Vergangenheit nicht stellen will. Sicher ist die "Bewältigung" in Japan anders gelaufen als in Deutschland (sie durften ja sogar ihren Tenno behalten), aber der Film tut so, als habe es in den letzten 20 Jahren keine Diskussionen über den Besuch des Yasukuni Schreins gegeben, wo auch Kriegsverbreche liegen, als habe es nicht viele Filme gegeben, die metaphorisch oder direkt die Gräul und Verbrechen (Nanking sei genannt) zum Thema haben. Der Import von Letters from Iwo Jima durch Clint Eastwood hat zwar auch wieder eine Debatte ausgelöst, aber das geschieht in Deutschland ja auch regelmässig (Goldhagen Buch, Walser Rede, Wehrmachtsausstellung etc.). Deswegen und weil man im Grunde gar nichts über den Umgang mit dem Zusammenbruch nach dem Krieg erfährt, den dann notwendigen Lügen und Verschweigen, dass diese Generation die der Regisseur portraitieren will doch genauso geprägt hat, wie der Krieg selbst. Mich hat er mehr genervt und nichts wirklich neues geliefert.

Kommentiere den Film oder den Eintrag

Titel

Orignaltitel

Caterpillar

Credits

Regisseur

Koji Wakamatsu

Schauspieler

Shima Ohnishi

Shinobu Terajima

Ken Yoshizawa

Land

Flagge JapanJapan

Jahr

2010

Dauer

85 min.

Impressum