Irgendwo in der sächsischen Provinz im Jahr 2006. Vater, Mutter und zwei Söhne stehen auf einer Hausbaustelle und schauen erwartungsvoll auf eine Glühbirne. Stolz drückt Vati auf den Lichtschalter, Mutti sagt „endlich haben wir Strom“ und die Kinder freuen sich. Dann flackert die Glühbirne und das Licht geht aus. Allen ist schlagartig klar: Das Leben bleibt eine Baustelle.
In ihrem Debütfilm zeigt uns Constanze Klaue eine Familie im Ausnahmezustand. Der Vater (Christian Näthe) hat einen schlechteren Job als früher, das Haus, das er seit Jahren in Eigenleistung baut, hängt ihm wie ein Mühlstein um den Hals. Die Mutter (Anja Schneider) macht Sonderschichten als Krankenschwester und ist so bleich wie ein Laken. Tobi (Camille Moltzen), der jüngere Sohn, kommt in die fünfte Klasse, sein großer Bruder Philipp (Anton Franke) ist ein paar Jahre älter. Sind häufig allein und machen Jungsdinge. Mit dem Fahrrad durch die Gegend fahren, Blödsinn machen am See. Die Anzeigenzeitungen, die sie verteilen sollen, schmeißen sie vernünftigerweise in den Wald. Die Oma kommt ab und zu zum Helfen, der Opa gibt Hamburger und Pommes aus („aber nicht der Oma erzählen“). Kurz: Alle geben sich Mühe, damit der Familienkahn, nicht endgültig auf Grund läuft. Inzwischen sind sie sogar ins neue Haus eingezogen. Das mit der Elektrik hat ein ehemaliger Arbeitskollege von Vati hingekriegt und die Heizung und das fließende Wasser, na ja, funktionieren nicht so richtig.
Die erste Stunde von MIT DER FAUST IN DIE WELT SCHLAGEN ist ein ungemein gelungenes Familienportrait. Es geht um kleine Dinge: Die nervende Lehrerin in der Schule mit ihren seltsamen Methoden. Das Mädchen, das Tobi kennenlernt, für das er eine Kette aus einer Mädchenzeitschrift klaut. „Das Heft hab‘ ich aber da gelassen“ verteidigt er sich, als die Mutter die Kette findet. Im viele kleine Szenen wird deutlich, wie jeder in der Familie immer mehr unter Druck gerät. Auch die Umgebung irgendwo in der sächsischen Provinz macht das Leben nicht leichter. An der Schule gibt es Hakenkreuzschmierereien. Philipp weiß, wer es war, sagt aber nichts. Die Polizei stellt halbherzige Fragen, dann verläuft die Sache im Sand. Die Eltern streiten, wegen des Hauses, wegen des Geldes, weil der Vater zu viel trinkt. Opa stirbt. Das Leben der Familie ist schwierig, aber der Film macht kein Drama daraus. Und das ist gut so. Denn beim Zuschauen versteht man genau, wie es den Figuren geht. Deshalb ist die Geschichte interessant und berührend.
Leider verliert MIT DER FAUST IN DIE WELT SCHLAGEN genau diese Qualität nach einer guten Stunde. Ab jetzt wird noch der gesellschaftliche Kontext explizit miterzählt. Jung-Nazis tauchen auf und benehmen sich wie eben solche: Prügeln, zerstören die Telefonzelle und terrorisieren Menschen, die anders sind als sie. Auf einmal ist Philipp mit dabei. Grundlos beginnt der Film das Thema „Nationalismus und Ausländerfeindlichkeit“ so zu zeigen, als wollte Punkte auf einer Liste abhaken. Das Thema wird in die vorher so interessante Familien-Handlung eingepasst. Von einem Moment zum anderen ist die Distanz zu den Figuren beim Zuschauen größer geworden und das Interesse an ihnen umso kleiner. Der Film hat mich dann im Schlussteil völlig verloren: Hier gibt es einen Zeitsprung von neun Jahren in die Zukunft. Nun wird auch noch gezeigt, was aus den Familienmitgliedern geworden ist. Alles erscheint so zwangsläufig, alles wird auserzählt. Was könnte langweiliger sein? MIT DER WELT IN DIE FAUST SCHLAGEN hat als starker, sehr sehenswerter Film begonnen und wird in der zweiten Hälfte zu einer bleiernen, didaktischen 110-Minüter. Das ist sehr schade.