Berlinale 2025: DAS LICHT (THE LIGHT) von Tom Tykwer

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© Frederic Batier / X Verleih

Eine dysfunktionale Familie der Berliner Awareness-Bohème, eine aus Syrien geflüchtete Frau, die ihre eigene Familie zurücklassen musste, und eine geheimnisvolle Lampe mit heilenden Kräften: Das sind die Zutaten für Tom Tykwers DAS LICHT, den Eröffnungsfilm der Berlinale. 162 Minuten lang wird hier eine Geschichte von Selbstverleugnung und Erkenntnis, Einsamkeit und Zusammenhalt, Schmerz und Heilung erzählt, die sich zwischen allen Genres und Realitätsebenen bewegt, mal komisch, mal tragisch, mal ernst und mal albern über die Leinwand fegt. Das funktioniert zum Teil sehr gut, und zum Teil leider gar nicht.

Sintflut? Ja, das auch. Aber nicht nur.

Das gut Funktionieren verdankt sich zum einen dem genauen Blick Tykwers auf die Eigenheiten jenes Milieus, in dem sich die deutsche Familie bewegt. Lars Eidinger glänzt als leicht angeschmuddelter Werbefachmann, der mal die Welt retten wollte und nun für einen globalen Konzern arbeitet, der sehr viel Geld mit dem Image verdient, die Welt retten zu wollen, und eigentlich das Gegenteil tut. Nicolette Krebitz brilliert als seine Ehefrau, die Jahr für Jahr um öffentliche Förderung für ein Sozialprojekt in Nairobi kämpft, und vor lauter Multitasking-Superleistung die eigene Familie nicht mehr wahrnimmt. Die 17-jährigen Zwillinge der beiden haben sich in ihre eigene Welt – Gaming respektive Rebellion plus Party und Drogen – zurückgezogen.

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© Frederic Batier / X Verleih

In der geräumigen Altbauwohnung bewohnt jedes Familienmitglied seine eigene kleine Höhle – während es draußen unablässig regnet und regnet und regnet. Sintflut? Ja, das auch. Aber das Wasser bekommt dann noch eine andere Bedeutung, auch das schwant einem schon recht bald. Vielleicht ein bisschen platt, und für die Schauspieler am Set bestimmt nicht unanstrengend, aber dieser Kunstgriff gibt dem Film von Anfang an etwas Albtraumhaftes, das bei aller erzählerischer Leichtigkeit gut zur Stimmung des Films passt.

Die Haushälterin stirbt – und keiner merkt‘s

Sex zwischen den Eltern gibt es schon lange nicht mehr, von Verständnis füreinander ganz zu schweigen. Jahrelange Paartherapie hat auch nichts gebracht (Ach ja, die Nebenrollen sind übrigens wahnsinnig gut besetzt!) Und dann ist da noch ein von Freddie Mercury begeisterter kleiner schwarzer Junge, der aus einer Beziehung der Mutter mit einem Mann aus Nairobi stammt, und alle zwei Wochen die Patchworkfamilie ergänzt. Als die Haushälterin der Familie eines Tages – unbemerkt von allen – tot in der Wohnung umkippt, muss rasch eine neue Haushaltshilfe her. Farrah aus Syrien, die Frau mit der Lampe, spricht perfekt Deutsch und ist eigentlich als Putzfrau überqualifiziert, aber sie will unbedingt als Haushälterin bei dieser Familie anheuern. Wo es bei Pier Paolo Pasolini („Teorema – Geometrie der Liebe“) in einer ähnlichen Versuchsanordnung gleich heftig zur Sache geht, lässt es Tykwer sanfter – und auch heilender – angehen. Farrah hört zu, gibt gute Ratschläge, bringt die Familienmitglieder allmählich wieder dazu, einander wahrzunehmen. Und irgendwann packt sie immer die Lampe aus.

Madonna-Mimikry und Ingmar-Bergmann-Zitate

Ganz bewusst spielt Tykwer hier mit Klischees – die Wunderlampe, die geheimnisvolle Frau aus dem Orient – und durchbricht sie zugleich: Die Wunderlampe fußt, zumindest in der Logik des Films, auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und die geheimnisvolle Frau hat eine sehr reale Geschichte. Dass Farrah zudem ihre eigene Agenda hat, ist recht früh klar. Dass diese Agenda etwas mit ihrer eigenen Familie – spiegelbildlich Vater, Mutter, Zwillingskinder – zu tun hat, ebenfalls. Nur, in welcher Tonlage sich diese Agenda entfalten wird – Drama, Horror, Komödie, Musical oder Fantasy – entscheidet der Film eigentlich bis zum Schluss nicht so recht. Und das ist zum einen seine Stärke, zum anderen seine große Schwäche.

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© Frederic Batier / X Verleih

Tykwer lässt den einzelnen Figuren viel Raum – Höhepunkt jeder Charakterisierung sind einzelne Fantasie-Sequenzen, in der jede Figur ihre eigenen Wünsche, Ängste und Träume losgelöst von der Realität durchlebt. Da gibt es lustige Gesangs- und Tanzeinlagen, Madonna-Mimikry und Ingmar-Bergmann-Zitate, Animé-Sequenzen und Tiger-and-Dragon-Einsprengsel. Tykwer kennt seine Filmgeschichte und die Popkultur. Das ist alles sehr schön und unterhaltsam anzuschauen.

Weiteres großes Plus: Eidinger und Krebitz füllen ihre Rollen ganz wunderbar und zutiefst glaubhaft aus. Bei der Kindergeneration hingegen wirken die Sätze, die ihnen das Drehbuch in den Mund legt, oft recht hölzern, was man den jungen Schauspieler*innen nicht vorwerfen darf – eher der Dramaturgie, die hier einen anderen Weg hätte finden müssen.

Ein Deus ex Machina mit Niedlichkeits-Faktor

Ohne zu spoilern: Was der Film 120 Minuten lang an Spannung und Credit aufgebaut hat, verspielt er leider zum Teil in der letzten halben Stunde. Da wird auf einmal unnötig ausbuchstabiert, was vorher in Andeutungen und Verfremdungen sehr gut funktioniert hat. Zudem kommt dann noch ein kleiner süßer Deus ex Machina in einer Art und Weise zum Einsatz, die bestenfalls als Versuch gewertet werden kann, den Niedlichkeits-Faktor noch einmal deutlich hochzuschrauben. Es gibt, mit Blick auf altbekannte kulturelle Klischees, auch problematischere Deutungen.

Nichtsdestotrotz: DAS LICHT ist ein Film, der mutig und eigenwillig seinen eigenen Ton findet – und als Eröffnungsfilm der Berlinale allemal gut platziert ist. Berliner Nabelschau goes global.


Worum es geht


Eine Familie in Berlin, die keine Familie mehr ist, und eine Frau aus Syrien, die keine Familie mehr hat.

Für Fans von

Lars Eidinger, Nicolette Krebitz, Tom Tykwer, Genre-Mixes und mutigen Filmen, bei denen nicht alles glattgezogen ist.

Lieblingsmoment

Showdown zwischen Eidinger und Krebitz. Böse und gut.

Besonders gefallen haben mir...

Die Traumsequenzen.

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Titel

Orignaltitel

Das Licht

Englischer Titel

The Light

Credits

Regisseur

Tom Tykwer

Schauspieler

Tala Al-Deen

Elke Biesendorfer

Lars Eidinger

Julius Gause

Nicolette Krebitz

Land

Flagge DeutschlandDeutschland

Jahr

2025

Dauer

162 min.

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