Berlinale 2025: PETER HUJAR’S DAY von Ira Sachs

Filmstill-am man lying on a bed

© One Two Films

Was macht so ein Künstler bloß den lieben langen Tag? Linda Rosenkrantz, Autorin des "nonfiction-fiction" Romans "Talk" und bestens vernetzt in der New Yorker Kunstszene, wollte das 1974 genauer wissen. Sie bat einige ihrer Kunstfreunde, über einen beliebigen Tag ihres Lebens minutiös Buch zu führen. Danach unterhielt sie sich mit ihnen darüber und nahm das Gespräch auf Tonband auf. So auch mit dem Fotografen Peter Hujar – der erst nach seinem viel zu frühen Tod 1987 wirklich bekannt wurde. Das Tape selbst ist bis heute verschollen, vor einigen Jahren tauchte jedoch ein Transkript auf. Rosenkrantz veröffentlichte „Peter Hujar’s Day“ 2021 schließlich doch noch als Buch – und Independent-Filmemacher Ira Sachs hat nun daraus einen überraschend spannenden Film gemacht, der mit Ben Wishaw in der Titelrolle im Panorama der Berlinale läuft.

Peter Hujar liebt sein Nickerchen

Peter Hujar raucht viel zuviel, er legt in seinem Arbeitstag ein Nickerchen ein, wann immer es geht, er ist nervös, wenn er zu einer Beat-Generation-Ikone wie Allen Ginsberg für ein Porträt einbestellt wird, das aber nach Ginsbergs Willen bloß kein Porträt sein darf (!), er muss seinen Honoraren hinterherrennen, und er wundert sich, wie hoch der Preis für ein Sandwich inzwischen ist. Wenn er in die Lower East Side aufbricht, fragt er sich, ob ein langer schwarzer Mantel eher angemessen wäre, oder doch die coole Lederjacke. Er beschreibt sehr eindrücklich, wie er an ein Foto herangeht, wie er versucht, der Person, die darauf zu sehen ist, ihren selbst gewählten Raum und Ausdruck zu geben.

Aus alle diesen kleinen Geschichten und Beobachtungen, von der Britin Rebecca Hall (die Amerikanerin aus „Vicky Cristina Barcelona“, die nicht Scarlett Johansson ist) als Linda Rosenkrantz dem fahrig-charmanten Wishaw-Hujar hebammengleich und mit viel freundschaftlicher Nähe aus der Nase gezogen, ergibt sich bald ein faszinierendes Kaleidoskop, das hinter den vielen bunten Puzzle-Teilen eine Persönlichkeit, einen realen Künstleralltag lebendig werden lässt. Es braucht Schauspieler wie Wishaw und Hall, die in diesem Kammerspiel die Zuschauer bei der Stange halten können – obwohl 75 Minuten lang nur geredet, geraucht, herumgelümmelt und gegessen wird. Und einen Filmemacher wie Ira Sachs (siehe PASSAGES), der aus dem Stoff eine clevere Inszenierung einer Inszenierung macht: Wir sind uns der Kamera bewusst, nehmen aber auch das „Setting“, das Linda Rosenkrantz bereitet, bereits als Teil einer Inszenierung wahr: mit Teetassen, Keksen und dem klobigen Tonbandgerät auf dem Tisch. Kameramann Alex Ashe setzt diese gewagte Balance aus 70er-Jahre Feeling, Künstlichkeit der Inszenierung und unmittelbarem "Dabei-Sein" meisterlich um.

Kunst braucht Zeit

"Zeit" wird dabei ein cineastischer Begriff, den wir unmittelbar erleben. Zugleich beginnen wir über "Zeit" nachzudenken - durch die Art, wie der Film inszeniert ist, und durch die Inhalte der Gespräche - während der Filmeschauens und danach. Und was macht nun so ein Künstler den lieben langen Tag? Dies und das. So manches. Jedenfalls nicht nur Kunst. Aber wenn er Kunst macht, dann muss er seinem ganz eigenen Tempo folgen. In einer schönen Szene gegen Schluss formuliert Peter Hujar in einfachen, aber eindrücklichen Worten die Erkenntnis, dass er einfach sehr viel Zeit brauche, um einen guten Abzug herzustellen. Wenn er versuche, sich selbst und die Zeit, die es eigentlich braucht, auszutricksen, entstehe dabei nur Mist. In Zeiten der durchgetakteten Produktivität eine schöne Feststellung.


Worum es geht


Um einen Tag im Leben von Peter Hujar, einem Foto-Künstler im rauen New York der 1970er Jahre, von dem er seiner guten Freundin Linda Rosenkrantz erzählt, die daraus ein Buch machen will.

Für Fans von

Langen Gesprächen, Peter Hujar, Linda Rosenkrantz, Ira Sachs, New York in den 1970er Jahren, geschmackvoller 1970er Jahre Deko, und elegant inszeniertem "Film im Film".

Lieblingsmoment

Während einer Gesprächspause löffelt er stumm einen halben Apple Pie in sich herein, während sie sich einen Nutella-Toast schmiert.

Besonders gefallen hat mir...

Die Dynamik zwischen den beiden Hauptfiguren. Es wird klar, dass nicht jede*r dieses Gespräch mit dem Künstler hätte führen können.

Kommentiere den Film oder den Eintrag

Film-Emoji

🎤

Impressum