Als die Dylanologen hörten, dass eine Frau (eine Frau!) auf dem Newport Folk Festival von 1965 „Judas!“ schrie und Gott von der Bühne zurückgrummelte „I don’t believe you“, zerrissen die Dylanologen ihre Kleider, eilten hinaus unter das Volk und riefen: James Mangold, was tust Du? Und die Dylanologen keppelten und keiften. Denn hatte sich jener Wortwechsel zwischen einem erzürnten Mann (Natürlich ein Mann, wie könnte es auch anders sein? Seit Jahrzehnten streiten sich mehrere Männer um die Ehre, völligen Blödsinn geschrien zu haben.) und Gott nicht in Wahrheit in der Free Trade Hall zu Manchester am 17. Mai 1966 zugetragen? ICH aber sage Euch: Es ist völlig wurscht, wer an welchem Tag wo „Judas!“ gerufen hat: God didn’t give a shit anyway, god and his band were playing „fucking loud“.
A COMPLETE UNKNOWN ist ein großartiger Film. Erstens weil James Mangold verstanden hat, dass es in einem Film über einen der besten und einflussreichsten Musiker und Songwriter des 20. und 21. Jahrhunderts auf zwei Dinge ankommt – Musik und Songs! Und zweitens ist A COMPLETE UNKNOWN ein großartiger Film, weil Timothée Chalamet diese Songs nicht nur selbst singt, sondern anscheinend auch noch irgendwie hinter die Stirn des jungen Bob Dylan gucken konnte, was an ein Wunder grenzt. Als der junge Bob Dylan den kranken Woody Guthrie in New Jersey im Krankenhaus besucht und ihm seinen neuen „Song to Woody“ vorspielt kann man es in den Augen von Chalamet sehen – natürlich ist der Song eine Hommage an den alten Meister, aber die Augen sagen auch: Die Zukunft gehört mir.
In den folgenden zwei Stunden sehen wir dem jungen Bob Dylan zu - beim Musikmachen, Frauenverführen, Songschreiben, geil Aussehen und die Alte-Musikwelt-in-Schutt-und-Asche-Legen. Und beim Rauchen. Es ist evident, dass die vorgenannten Tätigkeiten ohne Rauchen überhaupt nicht möglich gewesen wären. In kurzer Zeit wird Dylan zum Star. Vom Folkie und Hobo-Verschnitt zum Star, der genau weiß wie er auf Fans und andere Stars – Joan Baez, Johnny Cash, Pete Seeger – wirkt. Da kann sich Bobby hinter seiner Sonnenbrille verstecken, solange er will. Was er wirklich will, ist allen zeigen, dass er jetzt musikalisch die Richtung bestimmt.
Das macht Mangolds Film so attraktiv: Wir können bei der Geburt eines Mythos und beim Entstehen von Dylan-Songs zuschauen. Hier stimmt der abgedroschene Satz vom Zauber der Bilder, von der Traumfabrik. Wir können das miterleben, was wir schon immer miterleben wollten. Das Fantastische dabei ist: Es ist eben kein Blick hinter die Kulissen, der den Mythos entlarvt. Hinterher ist der Mythos vielleicht noch größer als zuvor. Man hört genau hin, hört die Texte im Entstehen und denkt die ganze Zeit „wie kann das sein?“ Wie kann das sein, dass jemand mit 21, 22, 23 Jahren (Dylan ist Jahrgang 1941) solche Texte schreibt und dafür auch noch Musik findet? A COMPLETE UNKNOWN macht Dylans Songs noch bezwingender als sie ohnehin schon waren. Und was ich jetzt brauche, was ich unbedingt sehen will, ist ein James Mangold Film über die Traveling Wilburys.
Kommentare ( 7 )
Großartig dein Text! Meisterleistung all die Lektüren und Konzerte der letzten- was?- 40 Jahre in einen so lässigen Text münden zu lassen. Nach dem man den Film unbedingt sehen will!
Posted by Christian C | 15.02.25 06:51
Super Text, vielen Dank. Film stand eh schon oben auf der Liste. Nach Deinem Text hab‘ ich noch mehr Bock drauf. Thx.
Posted by Eddie E. | 15.02.25 08:17
Bin ja bekennendermaßen kein Dylan-Fan, habe nach deinem großartigen Text aber und so mehr Lust, jetzt Mal wieder ins Kino zu gehen. Großartiger Text
Im übrigen bin ich der Meinung, dass "wurscht" (heute auch"vegane wurscht") in jeden Text gehört.
Posted by Big Daddy D | 15.02.25 09:14
Kann mich Vorredner Eddie E. nur anschließen: würde den Film logisch sowieso auch unbedingt ansehen wollen. Aber jetzt erst Recht! Coz I know something is happening, but you (already) know what it is! Bleibt lediglich die Frage, ob es irgendwo noch ein Raucherkino gibt, das ihn zeigt, den Film.
Posted by The Soulbauer | 15.02.25 09:20
In die Lobeshymne stimme ich voll ein!!
Posted by andreas | 15.02.25 09:34
Ein so ein schöner Text! Hut ab und Sonnenbrille auf! ?
Posted by tiz | 15.02.25 09:47
Da braut sich ein gehöriger Appetit in mir zusammen, vielen Dank!
Aufschlussreich waren für mich immer Anekdoten, die den Nuschler besser erklären als Worte. Stevie Wonder, der ihn durch seinen nachtschlafenen Part von "we are the world" lotst (ein großer Dylan-Imitator!) und wenn er Jahrzehnte späternachts über die Frankfurter Buchmesse strauchelt. Scheu, verstört, disruptiv-genial - können Mangold und Chalamet das abbilden? Ich bin gespannt.
Und dann bitte das überfallige Supergroup-Biopic. Mein Vorschlag zum OST "Traveling Wilburys Vol. 2", da hab ich noch eine kleine Lücke im Regal.
Posted by el feliz | 15.02.25 13:20