Cooles Gedankenexperiment: Was wäre, wenn die eigene Teenager-Tochter plötzlich übersinnliche Fähigkeiten entwickelt und alles, wirklich ALLES mitbekommt, was die Eltern so in ihrer Abwesenheit tun? Unangenehme Vorstellung, nicht wahr? Frédéric Hambalek hat aus dieser Idee einen großartigen Film gemacht: WAS MARIELLE WEISS ist eine tiefschwarze Komödie mit Herz und Verstand - und ein echter Lichtblick im Berlinale-Wettbewerb.
Absurde Situationen zuhauf
Die Ohrfeige einer Freundin katapultiert die 13-jährige Marielle (Laeni Geiseler) ins Reich der Telepathie. Das wird nicht erklärt, das ist einfach so. Am Abendbrottisch werden die fassungslosen Eltern mit Details aus dem eben hinter sich gebrachten Arbeitstag konfrontiert, die sie lieber nicht im Kreis der Familie geteilt hätten. Mutter Julia (Julia Jentsch) und Vater Tobias (Felix Kramer) mutmaßen zunächst einen töchterlichen Hacker-Angriff und konfiszieren erst mal sicherheitshalber das Tablet des Mädchens. Danach wird das Kind gründlich vom Arzt durchgecheckt. Doch es hilft nichts, Marielle funktioniert weiterhin als unfreiwillige menschliche Empfangsstation der elterlichen Frequenzen. Das führt zu absurden Situationen, komisch-tragischen Verwicklungen und peinlichen Momenten zuhauf – und übergangsweise benehmen sich Julia und Tobias in Marielles Abwesenheit so, als läsen sie laut aus einem Skript für den vorbildlichen elterlichen Umgang innerhalb einer heilen Familie vor. Oder aber sie streiten sich zu Tisch wie kleine Kinder, die sich vor ihren allwissenden Eltern – hier hat den Part aber gruseligerweise die eigenen Tochter inne – für ihr Handeln rechtfertigen müssen.
Wenn die Eltern zu Kindern werden
Weil die eingespielten Rollenmuster nicht mehr funktionieren, wird hier alles auf den Kopf gestellt: Die Eltern werden kindisch und grausam oder wagen linkische Befreiungsschläge aus der Dauerüberwachung, das Teenager-Mädchen kann die neu gewonnene Macht zwar stellenweise taktisch klug nutzen, ist aber letztlich kreuzunglücklich, weil sie nun Dinge weiß, die sie nie wissen wollte. Plötzlich muss sie in einer Liga mitspielen, für die sie definitiv noch zu jung ist.
Was passiert, wenn unsere täglich eingeübten Rollen entlarvt werden? Wie viel Privatsphäre brauchen wir? Warum ist es sinnvoll, dass nicht alle von allem wissen? Das sind Fragen, die der Film quasi nebenbei elegant verhandelt, ohne je die leichtfüßige Tonlage der absurden Komödie mit Tiefgang zu verlassen. Das Drehbuch ist phänomenal gut. Julia Jentsch und Felix Kramer brillieren in ihren Rollen – auch wenn man bei so manchem Kicheranfall vor der Kamera den Eindruck hat, der sei spontan bei Drehen passiert und, weil es so gut passte, einfach übernommen worden. Schadet aber nichts. Ganz im Gegenteil.
Ob die zersetzenden Folgen der absoluten Transparenz geheilt werden können, ob die Telepathie wieder rückgängig gemacht werden kann? Das soll nicht verraten werden. Für Regisseur und Drehbuchautor Frédéric Hambalek ist WAS MARIELLE WEISS erst der zweite Spielfilm – er wurde vom ZDF für „Das kleine Fernsehspiel“ koproduziert. Da sage nochmal einer, es laufe nichts Gescheites im Fernsehen!
Kommentare ( 1 )
...eine deutsche Komödie im Wettbewerb...weiß nicht, wann es das bereits mal gab...sehr schön : )
Posted by andreas | 17.02.25 23:31