Was kommt dabei heraus, wenn man Robert Pattinson, einen irren Sci-Fi-Plot, liebenswerte Riesenasseln mit akustischem Talent zum Hochfrequenzbereich, einen größenwahnsinnigen Politiker-Milliardär und einen genial-radikalen koreanischen Filmemacher miteinander kombiniert? Ein Bandwurmsatz, sorry. Und ein toller Film. MICKEY 17 von PARASITE-Regisseur Bon Joon Ho ist ein absolutes Highlight der Berlinale.
In einer nicht allzu fern erscheinenden Zukunft ist es Wissenschaftlern gelungen, nicht nur die DNA, sondern auch die Erinnerungen einer Person komplett zu speichern – und zwar in einem Backstein (!) Der Printout erfolgt in einem CT-ähnlichen Riesendrucker, wobei darauf zu achten ist, ein Auffang-Wägelchen unterzulegen, da ansonsten das passiert, was bei unseren Tischdruckern regelmäßig passiert, wenn wir vergessen, das Papier-Auffang-Dingsbums auszuklappen – der Ausdruck segelt, respektive plumpst zu Boden. Das ist nur ein Beispiel dafür, wie der Film Hightech-Sci-Fi so darstellt, dass sie gruselig und vertraut zugleich wirkt. Die Komik entsteht in der Grauzone dazwischen.
Der wiederholte Tod ist im Job eingepreist
Mickey Barnes ist ein junger Mann ohne viel Glück im Leben. Auf der Flucht vor einem zerstückelungswütigen Geldeintreiber ist er gezwungen, die Erde tutto pronto zu verlassen. Welch ein Glück, dass der stark näselnde, schwerreiche Möchtegern-Diktator (großartig: Mark Ruffalo!) neue Lande für seine Alleinherrschafts-Träume im All sucht. Dort soll eine „reine Rasse“ das Überleben der Menschheit sichern, also natürlich nur eines bestimmten Teils der Menschheit. Man darf getrost annehmen, dass Ähnlichkeiten mit lebenden Personen voll und ganz gewollt sind.
Ein reguläres Ticket auf dem Weltraum-Eroberungs-Shuttle des trumpesken Milliardärs kann Mickey sich nicht leisten, und so muss er als „Expendable“ anheuern – einer, der „entbehrlich“ ist. Ein „Expendable“ muss für die richtig fiesen Jobs herhalten, dabei ist (im Kleingedruckten) das wiederholte Ableben und neu-Ausdrucken bereits eingepreist. Bereits in den ersten Minuten des Films wird Mickey mehrmals unschön zu Tode gebracht und neu ausgespuckt.
Trottel-Mickey gegen Macho-Mickey
Dabei hat Mickey, von Robert Pattinson wunderbar trottelig gespielt, Glück im Unglück. Sein Hundeblick scheint einer sehr toughen und sexy Space-Shuttle-Offizierin (toller Auftritt für Naomi Ackie) ausnehmend gut zu gefallen – und so wird der Flug in der Holzklasse-Kabine trotz erbärmlichem Kantinenfraß doch noch recht erfreulich für Young Mickey Barnes. Auf dem eisbedeckten Ziel-Planeten angekommen geht die Story aber erst so richtig los.
Weil es müßig und obendrein spielverderberisch wäre, an dieser Stelle die Handlung wiederzukäuen, sei nur so viel gesagt: Ein kleiner Irrtum hat zur Folge, dass es auf einmal zwei Mickey gleichzeitig gibt. Und nun hat Pattinson so richtig Spaß. Er darf den Trottel-Mickey 17 gegen einen leicht durchgeknallten, Charlie-Sheen-mäßigen Macho-Mickey 18 antreten lassen! Was für eine Freude! Oh ja, und dann kommen auch noch die Riesenasseln ins Spiel! Und Toni Collette ist eine Wucht als böse böse (!) „First Lady“ mit Totalknall und Faible für recht unappetitliche Sößchen-Kreationen. Überdreht und abgefahren wie der Film ist, Bong Joon Ho wäre nicht Bong Joon Ho, würde er nicht eine radikal sozialkritische und zutiefst humane Message glasklar unter dem all den Spektakel-Schichten hervorleuchten lassen: Jeder Mensch ist einzigartig. Kein Mensch darf je als „entbehrlich“ abgestempelt werden. Und skrupellose Größenwahnsinnige werden ernten, was sie gesät haben.
Das wirklich Erstaunliche an MICKEY 17 jedoch ist, dass er NICHT auf einer Graphic Novel basiert, sich aber absolut wie eine Graphic-Novel-Verfilmung anfühlt. Bong Joon Ho hat jedenfalls gezeigt, dass er auch große Hollywood-Produktion meistert und sein ganz eigenes Ding daraus macht. Bitte mehr davon.
Worum es geht
Um Menschlichkeit.
Für Fans von
Kellerasseln und DIE BLECHTROMMEL.Lieblingsmoment
Diverse Zickenkriege zwischen Mickey 17 und Mickey 18