Berlinale 2025: ONCE AGAIN…(STATUES NEVER DIE) und LOOKING FOR LANGSTON von Isaac Julien

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© Isaac Julien

1989 machte ein formal und inhaltlich außergewöhnlicher Film über den afroamerikanischen Dichter, Schriftsteller und aktiven Bürgerrechtler Langston Hughes (1901-1967) Furore: LOOKING FOR LANGSTON ist ein filmpoetischer Essay, ein Traum von Film, ein Meisterwerk. Der britische Installations-Künstler und Filmemacher Isaac Julien (seit 2022 Sir Isaac Julien) erforscht hier in eleganten Schwarz-Weiß-Bildern das Leben und Wirken von Hughes während der Harlem Renaissance, als in den 1920er und frühen 1930er Jahren in New York und anderswo afroamerikanische Kunst und Literatur erstmals „en vogue“ waren.

Traumwandlerischer Tanz zwischen den Zeiten

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© Isaac Julien

In LOOKING FOR LANGSTON geht um die Suche nach der Schönheit des Lebens, um das Begehren und die zerstörerischen Kräfte, die es uns verweigern wollen, es geht darum schwarz und queer zu sein, um Rassismus und Selbstbehauptung, Lebensfreude und Schmerz, Erfüllung und Sehnsucht. Gekonnt vermischen sich dabei die Zeitebenen: Eine Razzia in einer Schwulen- und Transvestiten-Bar aus den 1920er Jahren zeigt Anklänge an Stonewall (1969), Texte von James Baldwin werden von Toni Morrison eingesprochen, ein beflügelter Jimmy Somerville lacht vom Balkon der Harlem-Renaissance-Traumbar, und die harten, schonungslos-zärtlichen Verse von Essex Hemphill bringen im Jahr 1989 mit Wucht das Thema AIDS ins Spiel.

Alain Locke und Albert C. Barnes: Komplexe Beziehung zweier Bewunderer afrikanischer Kunst

Mehr als drei Jahrzehnte später widmet sich Julien einem anderen Aspekt der Harlem Renaissance: der komplexen Beziehung zwischen Alain Locke (1886-1954), afroamerikanischer Philosoph, Kunstkritiker und Schlüsselfigur der Harlem Renaissance, und Albert C. Barnes (1872-1951), reicher weißer Industrieller und Gründer der weltberühmten Barnes Foundation in Philadelphia. Barnes war ein hart arbeitender self-made man, der früh die Künstlerinnen und Künstler der Moderne sowie afrikanische Kunst wertschätzte, sammelte und ausstellte. Besonders interessierte ihn an der afrikanischen Kunst ihr Einfluss auf die Moderne, etwa bei Künstlern wie Picasso oder Matisse.

In der intellektuellen Auseinandersetzung der beiden Amerikaner, in verschiedenen Veröffentlichungen dokumentiert, geht es um die Definition afrikanischer Kunst. Ist sie „nur“ ein „emotionaler und spiritueller“ Impulsgeber „voller Exotik und Ursprünglichkeit“ für die Moderne, oder vielmehr eine eigene Kunstkategorie, deren Ausdrucksformen und Entwicklungen einer eigenen Betrachtung würdig sind – und die keineswegs hinter europäischen Traditionen zurückstehen muss? Was sich hier als rhetorische Frage liest, wurde im frühen 20. Jahrhundert ernsthaft diskutiert.

Isaac Julien mischt in ONCE AGAIN…(STATUES NEVER DIE) ähnliche Fragen schwarzer, homosexueller Identität (Alain Locke konnte seine Liebe zu Männern zu seiner Zeit nur sehr verdeckt leben), die er bereits in LOOKING FOR LANGSTON gestellt hat, mit der Wahrnehmung afrikanischer Kunst in der Moderne und den Diskussionen um die Restitution afrikanischer Kunstwerke aus europäischen und US-amerikanischen Museen in die Herkunftsländer. Und das funktioniert leider nur bedingt. Warum das so ist, zeigt sich besonders gut, wenn man die beiden Filme direkt hintereinander sieht – so, wie es auch auf den Berlinale-Screenings geschieht.

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© Isaac Julien

Auch ONCE AGAIN besticht durch starke Bilder: Locke, der sich im eleganten schwarzen Gehrock und perfekt manikürten Fingernägeln zu Barnes verschneitem Anwesen aufmacht: eine kleine, sehr aufrechte und sehr elegante schwarze Figur in einem erdrückenden Meer von Weiß. Der weiße Schnee rieselt dann auch traumgleich auf Locke nieder, der dies mit geschlossenen Augen geschehen lässt – lassen muss. Julien hat 2022, in der Barnes Foundation, eine multimediale Kunstinstallation mit demselben Inhalt präsentiert – vielleicht funktioniert das Thema in dieser Form besser als in der rein filmischen Form?

Der Konflikt zwischen Barnes und Locke war kompliziert und setzt viel Kontext-Wissen voraus. Barnes war durchaus ein Unterstützer afroamerikanischer Bürgerrechte – was zu dieser Zeit keine Selbstverständlichkeit war. Aber finanzielle und gesellschaftliche Abhängigkeiten, Machtungleichheiten und tief verwurzelten Rassismen sind komplexer als bloßes Gut und Böse. Insofern wäre es interessant gewesen, die spannungsreiche Beziehung zwischen Locke und Barnes mit künstlerisch-poetischen Mitteln zu vertiefen. Doch die Begegnung reduziert sich auf ein Gespräch, das die bekannten Argumente wiederholt, auf ein Auge-in-Auge-Stehen von Locke mit einem respektheischenden Öl-Porträt von Barnes und eben jenem schweren Gang ins Schnee-Schloss.

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© Isaac Julien

Immer wieder referiert der Film auf LOOKING FOR LANGSTON (es werden auch einzelne Sequenzen übernommen), das nicht unkomplizierte und oftmals unerfüllte homosexuelle Begehren von Locke wird thematisiert. Szenen etwa, die Besuche Lockes im Atelier des Bildhauers Richmond Barthé zeigen, kombinieren sehr bewusst das Begehren nach dem männlichen Körper mit dem Verlangen nach Schönheit und Wahrheit in der Kunst und der Sehnsucht, den eigenen Körper – oder Körper, die dem eigenen ähnlich sind – , in der Kunst dargestellt zu sehen. Aber wo LOOKING FOR LANGSTON Selbstbehauptung, Erfüllung, Sehnsucht und Schmerz traumwandlerisch ausbalanciert, kommt ONCE AGAIN im Vergleich dazu fast schon sentimental und ja, ein wenig kitschig daher. Diese auf Locke fokussierten Sequenzen werden kombiniert mit Szenen, die wie ein poetischer Werbefilm für die Restitution afrikanischer Artefakte wirken.

Der Schmerz rückt in den Fokus

Der Titel von ONCE AGAIN…(STATUES NEVER DIE) bezieht sich auf dem Kurzfilm LES STATUES MEURENT AUSSI (STATUES ALSO DIE) von Alain Resnais und Chris Marke, der sich bereits 1953 kritisch mit dem Thema koloniale Raubkunst aus Afrika beschäftigte – und ein besonderes Augenmerk auf die kulturelle Herabwürdigung der Beraubten durch die Kolonialherren legte.

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© Isaac Julien

Eine Protagonistin von ONCE AGAIN ist eine schwarze Kuratorin, die mit bedrückter Miene durch Regalreihen afrikanischer Kunstwerke im Pitt Rivers Museums in Oxford geht, während eine Stimme aus dem Off über die offenen Wunden reflektiert, die der Raub dieser Kunstwerke in Afrika zurückgelassen hat. Dass es doch besser gewesen sei, wenn diese europäischen Museen nie hätten gebaut werden müssen und der Raub afrikanischer Kunstwerke nie stattgefunden hätte, ist eine Aussage, die so historisch eindimensional wie – bei allem Respekt – irgendwie sinnlos ist. Hier steht der Schmerz, der Verlust im Zentrum – ebenso wie in dem berührenden Song „Once Again (… I defend my open heart, no question)“, den die großartige Sängerin Alice Smith in dem Film singt – allein, auf einer Treppe stehend. Vielleich wäre es bei diesem komplexen Thema interessanter gewesen, die Zwischentöne kulturellen Begehrens mit künstlerischen Mitteln auszuloten? Ist eine Sehnsucht nach einem glücklichen Urzustand, der allein auch in Frage gestellt werden darf, an dieser Stelle zielführend? Leider erfahren wir wenig Neues über die komplexen Wechselbeziehungen zwischen afrikanischer, afroamerikanischer und kanonisierter „westlicher“ Kunst.

Andere Blicke, offene Fragen

Stattdessen: Bilder des verheerenden britischen Feldzugs und Kunstraubs in Benin Ende des 19. Jahrhunderts, Ausschnitte aus der Guerilla-Pionier-Dokumentation in Sachen Restitutionsforderung, YOU HIDE ME, des ghanaischen Filmemachers Nii Kwate Owoo aus dem Jahr 1970, in dem ein junger schwarzer Mann und eine junge schwarze Frau afrikanische Artefakte aus Kisten und Plastiktüten im Keller des British Museums auspacken. All das hat seine Berechtigung, aber trägt es wirklich dazu bei, der Beziehung zwischen Locke und Barnes näher zu kommen?

Warum hat Barnes viel afrikanische, aber kaum afroamerikanische Kunst gesammelt? Vermutlich, wie Arthur Lubow 2022 in der New York Times schrieb, weil sich sein Sammlerinteresse auf die Avantgarde der Moderne bezog, die Künstler der Harlem Renaissance aber weitgehend in anderen Stilrichtungen arbeiteten. Warum war Barnes Blick auf afrikanische Artefakte ein anderer als der von Locke? Und was macht den Blick des Begehrens, den der Film-Locke auf die Harlem-Renaissance Skulptur eines schwarzen Mannes richtet, so kompliziert? Weshalb war afrikanische Kunst in Lockes Augen so wichtig für die Künstler der Harlem Renaissance? Diese losen Enden werden leider nicht vertieft. Aber sicher hat Julien mit ONCE AGAIN genau den Film gemacht, den er machen wollte. Und es ist immer ein wenig sinnlos, sich stattdessen einen anderen Film zu wünschen.

Und vor allem: Es lohnt sich allemal, das Double-Feature auf der großen Leinwand zu sehen. Dazu ist selten genug die Gelegenheit.

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Titel

Orignaltitel

Once Again... (Statues Never Die)

Credits

Regisseur

Isaac Julien

Jahr

2025

Dauer

32 min.

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