FB: Was war das Motiv für den Film und wie hat der jüngste Krieg die Wahrnehmung verändert?
Areeb: Ich habe das Thema Parcour in Gaza vor zehn Jahren zufällig entdeckt und war fasziniert. Gaza war auch damals ein Ort voller Hindernisse und Probleme. Aber diese Sportler haben das überwunden. Während ein Krieg herrschte, während Bomben fielen, haben sie weiter gemacht – und gelacht. Das ist unglaublich. Die Sehnsucht nach Freiheit, die diesem Sport zugrunde liegt ist außergewöhnlich.
Ahmed: Mit dem Parcoursport wollten wir zeigen, dass wir in Gaza trotz allem glücklich sein können, dass wir uns auf die positiven Dinge konzentrieren. Wir wollten die Zerstörung zeigen, aber auch, wie die Menschen sie überwinden. Wir wollten, dass die Welt die Realität in Gaza sieht. Doch was seit dem 7. Oktober passiert ist hat das alles verändert. Die Orte an denen ich trainiert habe sind weg. Die Nachbarschaften und Erinnerungen meiner Kindheit ausradiert. Es ist sehr schwer.
FB: Der Film ist ein eindrückliches Dokument über das Gefühl des Exils. Sie sitzen in den USA im Schnee und sprechen über das Internet mit den Menschen in Gaza – von denen letztlich auch einige ihre Heimat verlassen werden...
Areeb: Und man sieht auch, dass in Gaza viel mehr los ist als in Amerika... (lacht). Das Exil ist das bestimmende Motiv, das gilt für mich, das gilt auch für Ahmed, seit er in Schweden lebt. Ich konnte nicht nach Gaza reisen und habe versucht, aus der Ferne eine Verbindung herzustellen. Schon beim Krieg 2014 – 50 Tage fielen Bomben auf Gaza – war die Situation grausam und es war schwer auszuhalten, das aus der Ferne zu betrachten. Aber jetzt, eineinhalb Jahre nach dem 7. Oktober, ist es natürlich um ein Vielfaches schlimmer. In meinen Gedanken tauchte immer das Bild meiner Mutter auf. Ihr Lächeln war die Verbindung zu den Menschen in Gaza. Daher hab ich mich entschieden, den Film als eine Art Brief an sie zu gestalten und ihr von den schönen, aber auch den schrecklichen Dingen zu berichten.
FB: Was ist die persönliche Verbindung zu Gaza?
Areeb: Der Bruder meiner Mutter hat eine Frau aus Gaza geheiratet, deshalb waren wir dort, als ich vier Jahre alt war. Ich habe nur vage Erinnerungen daran – das Lächeln meiner Mutter, wie glücklich wir waren, wie geborgen wir uns am Meer fühlten. Diese Erinnerung trage ich bis heute in mir. Ich wurde in Nablus geboren und bin in den USA aufgewachsen, bin aber jeden Sommer mit meiner Mutter nach Nablus gereist. Jetzt geht das nicht mehr so einfach, habe auch selber Kinder und mache mir Sorgen.
FB: Wie geht es den Menschen und Orten, denen wir im Film begegnen?
Ahmed: Sie leben in einer Katastrophe. Unser Haus in Khan Younis wurde zerstört. Auch das Haus meiner Schwester wurde zerstört. Eines ihrer Kinder wurde während des Krieges geboren – stell dir das vor! Mein Bruder ist 12, die Schulen sind geschlossen. Es gibt keine Universitäten mehr, keine wirkliche Zukunft. Das Leben steht still, jeder Tag ist derselbe Kampf ums Überleben, um Zugang zu Essen und sauberem Wasser. Das Gleiche gilt für die Mitglieder des Parcour-Clubs. Das Leben ist komplett eingefroren, auch unter der derzeitigen Waffenruhe.
Ich fühle wie Areeb eine große Sehnsucht – ich möchte zurück, aber ich habe Angst, dort dann festzustecken. Als ich Gaza im September 2023 endlich besuchen konnte, wollte ich für immer bleiben. Und dann begann nur einen Monat später dieser zerstörerische Krieg. Es war herzzerreißend, das mitzuerleben wo ich gerade erst dort gewesen war. Und dann musste ich dieses Grauen aus der Ferne mitansehen, ohne etwas tun zu können. Ich mache mir ständig Sorgen.
FB: In Deutschland ist das Thema sehr kontrovers, letztes Jahr kam es auch auf der Berlinale zum Eklat, sogar dem jüdisch-israelischen Regisseur Yuval Avraham wurde Antisemitismus vorgeworfen, weil er die israelische Besatzung kritisierte. Manche Gruppierungen riefen jetzt zum Boykott auf. Welche Reaktionen erlebt ihr?
Areeb: Bis jetzt – und auch bei der Premiere heute in Berlin - war die Reaktion auf den Film emotional und sehr positiv. Die Menschen haben mit viel Empathie auf die extrem sympathischen Protagonisten reagiert. Was die politische Dimension angeht ist es deprimierend. In den USA ist die Debatte sehr polemisch. Wer über Palästina redet muss damit rechnen, angegriffen oder gecancelt zu werden.
Ahmed: Absolut. Ein Beispiel aus Schweden: Früher hatte ich viele Sponsoren, große Unternehmen. Sie melden sich nicht mehr, wollen mich nicht mehr unterstützen.
FB: Und der Boykott gegen die Berlinale?
Areeb: Ich sehe das so: Yalla Parcour ist zu allererst ein Film. Es liegt beim Publikum, sich damit auseinanderzusetzen. Ich bin nur diejenige, die die Geschichte erzählt. Und ich bin der Meinung, dass diese Geschichte so viele Menschen wie möglich erreichen sollte. Als wir die Möglichkeit bekamen, auf die Berlinale zu kommen, haben wir als Team diskutiert und uns entschieden, das zu nutzen. Panorama ist bekannt als eine politisch engagierte Sektion. Viele Menschen aus der Branche und weit darüber hinaus kommen hier her, um Filme zu sehen.
FB: Wie geht es mit dem Film weiter? Kann er Trumps Unsinn über eine „Gaza-Riviera ohne Palästinenser“ etwas entgegen setzen?
Der Film ist keine Kampagne, war auch nie so gedacht. Obwohl Gaza sicher Kampagnen braucht. Was Trump gesagt hat, ist absurd. Gaza ist die Heimat von Menschen, die dort seit vielen Generationen leben. Es hört sich vielleicht wie ein Klischee an, aber es ging mir in erster Linie darum, die Geschichten dieser tollen Menschen zu erzählen. Für mich war die Begegnung mit den Parcour-Sportlern eine kaum vorhersehbare Freundschaft, aber es sind sehr enge Freunde geworden.
Wenn wir den Film jetzt sehen werden wir sehr, sehr emotional, weil es das letzte Mal ist, dass wir Gaza so sehen, wie es war. Aber wir glauben daran, dass Gaza bleibt. Dass es eine Zukunft gibt. Gaza war lebendig, und die Menschen haben es trotz aller Schwierigkeiten am Leben gehalten. Und sie werden weiter dort leben, trotz allem.
Eine Langrezension zum Film hier auf qantara.de.