Gibt es eigentlich ein Archiv der wichtigsten Kulturgüter Deutschlands? Bestimmt! In jedem Fall muss (!!) AŞK, MARK VE ÖLÜM in dieses Archiv. Der Film ist ein mitreißender Soundtrack über den langen Weg Deutschlands zu einem Einwanderungsland.
Anfang der 60er Jahre erlebte die deutsche Wirtschaft einen enormen Aufschwung, es fehlten aber Arbeitskräfte. Viele Deutsche kamen deshalb durch Anwerbemaßnahmen aus der Türkei nach Almanya. Mit Fernsehbildern aus den Archiven von ARD und ZDF erweckt Regisseur Cem Kaya die Entwicklungen der Arbeitsmigration zum Leben, vom Anfang bis zur Gegenwart. Es wird deutlich, dass die türkische Musikszene in Deutschland auch als Reaktion auf enttäuschte Erwartungen entstand. Der soziale Alltag in Deutschland war harsch und von Inklusion hatte man damals noch nichts gehört. Die Lieder des Protestsängers Asik Metin Türköz oder von Yüksel Özkasap, der Nachtigall von Köln, entsprachen daher auch dem Gefühl der Deplatziertheit vieler Deutscher aus der Türkei.
Mit viel Drive geht Kaya die Jahrzehnte durch und vermischt gekonnt Musik-Mitschnitte, Fernsehberichterstattung und vom ihm geführte Interviews mit Musikern verschiedener Generationen. Er bringt Dinge zum Vorschein, die wir nicht wussten oder bereits vergessen haben: z. B. das deutsch-türkische Schallplatten- und Kassettenlabel Türküola, die deutsch-türkischen "Musik-Kassettentempel" in den Innenstädten, rauschende türkische Hochzeitsfeiern, wo Hochzeitsmusiker wie Rockstars auftraten, der Türkische Basar, der bis 1993 in der heutigen U-Bahnstation Bülowstraße untergebracht war, oder der Zusammenhang zwischen den rassistischen Anschläge von Mölln und Solingen Anfang der 90er Jahre und dem Entstehen türkischer Jugendgangs und einer neuen deutschtürkischen Hiphop- und Rap-Kultur. Oft bin ich verblüfft: wenn beispielsweise von den Summen gesprochen wird, die auf türkischen Hochzeiten in Umlauf waren, oder wenn ich dem Musiker İsmet Topçu zusehe, der mit seinen virtuosen Gitarren-Soli jedem gestandenen Metal-Gitarristen das Wasser reichen kann.
İsmet Topçu
AŞK, MARK VE ÖLÜM ist auch deshalb ein wichtiges Zeitdokument, weil es sich damals nicht um eine Künstler- sondern um eine Arbeitsmigration gehandelt hat. Eine kulturelle Entsprechung findet sich daher viel stärker in populärer Musik als in Literatur und Malerei.
Selten hat Geschichtsunterricht so einen Spaß gemacht!
AŞK, MARK VE ÖLÜM hatte auf der Berlinale 2022 Weltpremiere und gewann in der Sektion Panorama Dokumente den Publikumspreis. Er lief u.a. auch auf dem CROSSING EUROPE FILMFEST in Linz. Auf dem DOK.fest München läuft er am 12.5. um 20:30 im HFF Audimax und am Samstag den 14.5. in den Münchner Kammerspielen. Bei beiden Vorstellungen wird der Regisseur Cem Kaya anwesend sein.