DOK.fest München 2022: INTENSIVE LIFE UNIT von Adéla Komrzý

 Kateřina Rusinová in conversation with a patient

Dokumentarfilme öffnen Welten, zu denen man sonst keinen Zugang hat. Dabei geht es nicht nur um Ausflüge in weit entfernte Regionen, sondern auch um Räume mit Grenzerfahrungen, die uns zwar sehr nah sind, die wir aber bewusst auf Distanz halten. Eine dieser Grenzerfahrungen ist der Tod.

Adél Komrzý folgt den Palliativmedizinern Ondřej Kopecký und Kateřina Rusinová. Sehr einfühlsam begleiten sie am Prager Universitätskrankenhaus Patienten entlang der unterschiedlichen Phasen in der Palliativ-Kommunikation. Am Anfang steht Transparenz. Es muss klargestellt werden, wenn eine Krankheit nicht mehr heilbar ist und nur noch begrenzt Zeit bleibt. Es ist ein ungeliebtes und verdrängtes Eingeständnis. Auch gestandenen Ärzten fällt es schwer, es auszusprechen. Doch nach Auffassung von Ondřej Kopecký vergibt man ohne dieses Eingeständnis die Chance, dass die Patient*in eine bewusste Entscheidung trifft. Wenn Kopecký das Gefühl hat, dass bei der Patient*in ein Bewusstsein für die Ausgangslage besteht, erörtert er die Möglichkeiten, damit umzugehen. Soll versucht werden mit Geräten oder medizinischen Eingriffen, deren Aussicht auf Erfolg sehr ungewiss ist, das Leben so lange wie möglich erhalten bleiben? Oder soll medizinisch eine Lage geschaffen werden, wo der Patient sich mit seinen Angehörigen noch einmal auf die verbleibenden wichtigen Dinge konzentrieren kann. Wenn die Patient*in ihren Willen und die dahinter stehenden Wertvorstellungen artikuliert hat, geht es darum die Angehörigen einzubinden. Die Palliativ-Mediziner sind dann wichtiges Bindeglied zwischen Angehörigen und Patient*innen, die ihre Vorstellung über das Ende ihres Lebens mit Rücksichtname auf die Gefühle ihrer Nächsten oft nicht offen aussprechen.

INTENSIVE LIFE UNIT wird zu Beginn der Vorstellung beim DOK.fest München als ein Debattenfilm angekündigt und er löst dieses Versprechen voll ein. Gleichzeitig findet er eine wichtige künstlerische Form, um sich selbst und mit anderen darüber auseinanderzusetzen, wie das letzte Stück Weg im Leben gestaltet werden kann. Das gelingt Komrzý auch dadurch, dass sie viele sehr intime, emotionale Gesprächssituationen zeigt, ohne dabei aber die reflexive Ebene zu verlassen. Ihre Dokumentation macht die unermüdlichen und vielschichtigen Bemühungen von Ondřej Kopecký und Kateřina Rusinová so einem breiten Publikum zugänglich und rückt das Thema der Palliativmedizin in den Fokus des gesellschaftlichen Diskurses.

Wie die Palliativmediziner Ondřej Kopecký und Kateřina Rusinová gibt INTENSIVE LIFE UNIT keine fertigen Antworten, ist aber mit seinen einprägsamen Bildern ein starkes Plädoyers für das Recht auf einen selbstbestimmten letzten Weg.

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Titel

Orignaltitel

Jednotka intenzivního Zivota

Englischer Titel

Intensive Life Unit

Credits

Regisseur

Adéla Komrzý

Kamera

Prokop Soucek

Schnitt

Mariana Kozáková

Land

Flagge Tschechische RepublikTschechische Republik

Jahr

2022

Dauer

73 min.

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