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GHASIDEYEH GAVE SEFID (BALLAD OF A WHITE COW) von Behtash Sanaeeha, Maryam Moghaddam (Berlinale 2021)

Hätte es nicht in den vergangenen Jahren eine auffällige Häufung von Berlinale-Preisträgern aus dem Iran gegeben, man würde jetzt schon wetten wollen, dass BALLAD OF A WHITE COW zu den ganz heißen Favoriten gehört. Nur, das können sie eigentlich nicht schon wieder bringen, oder? Aber zunächst zum Film: Großartig erzähltes, bitteres Drama über eine Frau, die mit einem schrecklichen Justizirrtum leben muss. Ihr Mann wurde fälschlicherweise wegen Mordes zum Tode verurteilt und hingerichtet. Ein unerwarteter Helfer, der ihr plötzlich scheinbar aus dem Nichts heraus zur Seite steht, entpuppt sich als ein anderer, als er zu sein vorgibt.

Wie so oft im iranischen Kino geht es um die ganz großen Fragen: Schuld, Sühne, Unschuld, Verzeihen, Rache, Weiterleben. Das wird nicht explizit ausdiskutiert, sondern über die Handlungsstränge der Geschichte, über die Aktionen und Reaktionen der Figuren durchgespielt. Das Regisseur*innen-Duo Behtash Sanaeeha und Maryam Moghaddam setzen ihre Geschichte in stimmungssichere szenische Vignetten und eindrückliche Filmbilder um. Moghaddam spielt „nebenbei“ noch die weibliche Hauptrolle. Die weiße Kuh, die Anfangs und am Schluss ins Bild gesetzt wird, ist eine recht eindeutige Metapher für die Unschuld. Dass sie mitten in einem Gefängnishof steht, spricht für sich. Ein Spiegelbild erfährt sie in dem Bild der Witwe, die Tag für Tag in einer Fabrik an einem Fließband steht und Milchkartons kontrolliert. Ein kleiner weißer Hund steht aus Sicht des geheimnisvollen Helfers für Unreinheit, was angesichts dieses niedlichen Fellknäuels vor allem die Absurdität dieser religiösen Dogmatik bloßlegt.

Ohne, dass es störend wirkt, ist der Film durchtränkt von Metaphern und einer symbolischen, quasi literarischen Bedeutungsebene – beide Regisseure bekräftigen, dass ihr Zugang zum Film ein literarischer ist. Ein Mann will sich von seiner Schuld reinwaschen und hat doch nicht den Mut, diese Schuld jener Person einzugestehen, die es am meisten angeht. Und so versucht er, seine Bedeutung für das Leben dieser Frau gleichsam umzukehren. Er versucht, Gutes zu tun, ohne sich zu offenbaren, doch das kann nicht gut gehen. Und so wird er von gleichsam biblischen Strafen heimgesucht. Die kleine Tochter der Frau ist stumm, sie kann sich nur mittels Gebärdensprache verständigen, allerdings ist sie sehr willensstark und setzt sich selbstbewusst zur Wehr, wenn sie etwas als ungerecht empfindet – auch dies lässt sich als metaphorisch aufgeladenes Detail deuten. Die Stimme der Gerechtigkeit, vielleicht speziell für Frauen, ist zwar nicht laut zu hören, aber sie findet Wege, sich Gehör zu schaffen.

Dass die Milch der Unschuld, der Kuh also, am Schluss noch eine wichtige Rolle spielt, passt ins Bild. Ein kluger Schachzug ist auch, dass letztlich offengelassen wird, welches Ende die Geschichte wirklich nimmt. Es kommt ganz darauf an, welche der sich widersprechenden Einstellungen zum Schluss hin man als Fantasie und welche man als Wirklichkeit interpretiert.

Fotos: © Amin Jafari

Tiziana Zugaro,   04.03.21 16:52

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