L´ENLEVEMENT DE MICHEL HOUELLEBECQ von Guillaume Nicloux

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Auch hochintellektuelle Starschriftsteller unterhalten sich zuweilen über so banale Dinge wie die Renovierung ihrer Küche. Sobald der Zuschauer diesen ersten Schock verdaut hat, gilt es auch schon vom nächsten Mythos Abschied zu nehmen: Michel Houellebecq ist nicht nur bitter, menschenfeindlich und durch und durch nihilistisch, nein, er hat tatsächlich auch eine humoristische Seite!

Der Film nimmt ironisch Bezug auf die vermeintliche Entführung Houellebecqs, der 2011 während einer Lesereise für einige Tage verschwand und damit wilde Spekulationen auslöste, die in einer angeblichen Geiselnahme des Schriftstellers durch al-Qaida wegen seiner islamkritischen Äußerungen gipfelten. Als Houellebecqs kurze Zeit später unversehrt wieder auftauchte, lautete die offizielle Version damals, er habe seine Termine lediglich vergessen und sei temporär einfach nicht erreichbar gewesen. Diese Ereignisse werden nun von Nicloux filmisch aufgegriffen und gemeinsam mit seinem Hauptdarsteller - Michel Houellebecq höchstselbst - ins Zentrum einer fiktiven Entführungsstory gestellt.

Die Geiselnahme bietet dabei zunächst vordergründig alle Ingredienzien, die genreüblich zu erwarten sind. Es gibt drei bullige Entführer aus dem Halbweltmilieu, die zwar nicht die Schlausten sind aber das Herz auf dem rechten Fleck haben. Der Schriftsteller wird von ihnen ganz klassisch im Fahrstuhl überwältigt und in einer Kiste mit Luftlöchern im Auto an einen unbekannten Ort transportiert. Als Aufenthaltsort der Geisel dient ebenfalls standesgemäß eine abgelegene Baracke auf einem Autoschrottplatz. Damit beginnen dann aber auch schon die Irritationen, denn allein die Inneneinrichtung mit Eichenschrankwand, Nippesfiguren und einer grotesken Plastikpuppe lässt ernste Zweifel an der Professionalität der Geiselnehmer aufkommen. Auch die prominente Geisel ist von Anfang an nicht bereit, die ihr zugedachte passive Rolle zu spielen und tyrannisiert schon bald mit quäkiger Hartnäckigkeit die gesamte Umgebung. Quasi nebenbei entwickelt sich dann noch ein echter Familienanschluss für Houellebecq inklusive einer Geburstagsfeier mit Oma und Opa aus Polen.

Die Dialoge und Interaktionen zwischen der "Geisel" und den Entführern sind an Absurdität nicht zu übertreffen und gipfeln in einer besonders schönen Szene, in der einer der Entführer den schmächtigen Houellebecq mit vollem Körpereinsatz in die Geheimnisse des Freistilringens einführt. Ansonsten gibt es noch jede Menge wortreicher Gespräche und Diskussionen über Gedichtformen, Bodybuilding, Hundedressur und die bevorzugten Rotweinsorten des kettenrauchenden Dichters.
Guillaume Nicloux, der 2013 mit seinem streng durchkomponierten Klosterdrama "La Religieuse" im Wettbewerb der Berlinale vertreten war, hat mit "L´Enlevenment de Michel Houellebecq" einen höchst amüsanten Kunstfilm geschaffen, der auf intelligente Weise mit den Erwartungen der Zuschauer und den Zuschreibungen des Literaturbetriebes an das literarische Genie spielt.

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Titel

Orignaltitel

L'enlèvement de Michel Houellebecq

Englischer Titel

The Kidnapping of Michel Houellebecq

Credits

Regisseur

Guillaume Nicloux

Schauspieler

Michel Houellebecq

Françoise Lebrun

Maxime Lefrançois

Mathieu Nicourt

Land

Flagge FrankreichFrankreich

Jahr

2014

Dauer

92 min.

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